Inhaltsangabe
Valentiner bedauert es, Kolbe nicht während seines Aufenthaltes in Berlin angetroffen zu haben. Er läßt ihm ausrichten, dass Frau Rockefeller einen Guss von Kolbes Figur "Tänzerin" von 1911/12 erwerben möchte. In diesem Zusammenhang berichtet er von einem Treffen mit Ludwig Justi [Leiter der Neuen Abteilung der Nationalgalerie Berlin im Kronprinzenpalais].
Transkription
Berlebeck, 28. Aug. 25
Lieber Kolbe,
Es tat mir leid, dass ich Sie in
Berlin nicht antraf. Ihr Mädchen
sagte mir am Telephon, dass Sie
noch lange nicht aus der Schweiz
zurück kämen. Daraus entnahm ich
wenigstens, dass Sie sich einmal eine
richtige Erholung gönnen. Ich hätte
mich so gern einmal wieder mit
Ihnen ausgesprochen und Ihre
neuen Arbeiten gesehen. Sie müssen
ja wieder viel geleistet haben. In einer
italienischen Zeitung sah ich zu meiner
Freude eine Abbildung des Denkmales
für Busoni(1) mit dem schönen fliegenden
Engel obenauf. Auch habe ich mir
mit grösstem Genuss die Ebert Büste
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im Kronprinzenpalais angesehen. Eine
wunderbare Sache! Und eine Schmach,
dass Sie dabei so niederträchtig behandelt
wurden. Hoffentlich haben Sie sich
nicht zu viel geändert!
Ich hatte noch vor kurzem nach
Italien einen Brief von Mrs. Rocke-
feller(2), in dem sie mich bat, fest-
zustellen, ob sie nicht einen Abguss
von der Tänzerin(3) in der National-
galerie haben könne und was er etwa
koste. Ihre Familie ist nach den
Abbildungen allgemein davon entzückt.
Da ich weiss, dass sie sich doch
zu nichts anderem entschliessen
wird, wenn ihr dieser Wunsch nicht
erfüllt wird und es andererseits
von grösster Wichtigkeit für die deutsche
Kunst im Ausland wäre, wenn
so ein wichtiges Werk bei Rockerfeller’s
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im Hause stünde – die {gesellschaftliche} Stellung
Rockefellers in Amerika entspricht
etwa der des Königs von Bayern
im früheren Deutschland – bin ich
zu Justi(4) gegangen und habe gefragt,
was zu machen ist. Justi gab auch
zu, dass der Vertrag gelöst werden könnte,
aber wollte nicht. Und da ich nicht
gut mit ihm stehe und mir seine
schnoddrige Art nicht liegt, war die
Unterhaltung sehr kurz. Ich wollte auch
nicht weiter in ihn dringen, da ich
Ihre Ansicht über den Fall nicht
kenne. Sollten Sie aber für einen
Abguss sein, liesse sich die Sache
vielleicht doch noch regeln. Ich bin
nämlich noch bei Redslob(5) gewesen,
der mir Hülfe zugesagt hat, im
Fall ich sie brauche, und der glaubt,
einen Druck auf Justi mit Erfolg aus-
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üben zu können, wenn es nötig sein
sollte. Übrigens glaube ich, dass später ein-
mal, wenn wir alle tot sind, doch Abgüsse
von Ihren Bronzen in öffentlichen Samm-
lungen gemacht werden, genau so wie von
alten Meisterwerken. Dagegen wird sich
doch nichts machen lassen, weil sich
eine Bronze eben einmal abgiessen
lässt.
Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie?
Ich sehne mich öfter aus Detroit
weg, obgleich ich dort verwöhnt wer-
de und interessante Arbeiten habe. Aber
was hilft mir das in einer so kunst-
unverständigen Umgebung.
Ich bin hier noch ein paar Tage bei
meinem Vater u. fahre übermorgen
nach Holland (m. Adresse vom 2. – 8. Sept.
109 Keizersgracht, Amsterdam, bei H. Lütjens(6)).
Am 9. Sept. geht es mit der „Veendam“ wieder zurück. Viele herzliche Grüsse
Ihr getreuer
WR Valentiner