Inhaltsangabe
Transkription
(Berlin W. 10, den) 17./V 07
Atelier (von der Heydtstraße 7.)
Lieber Freund,
was musst du wohl von mir denken?
Doch stehe ich Dir keineswegs ferner, als wenn ich
Dir 6 Briefe in diesen 6 Wochen geschrieben hätte.
Zuerst wollte ich Dir mit Photos nach meinen
Arbeiten antworten. Indess, die gingen schief,
das heisst besonders die Aufnahmen. Eine der
beiden grösseren, für die Ausstellung gedachten
Steinarbeiten, blieb aber auf einem zweifelhaften
Punkt stehen, sodass ich sie nicht absandte.
Nun habe ich eine kleine Bronze(1), eine
Mädchenfigur in Kalkstein und eine ebensolche
in Gyps ausgestellt. In meinem Atelier
gelangen am letzten Tage die Aufnahmen
nicht, und draussen in der Secession(2) ist das
Licht recht ungünstig, dass mir bisher alle
Lust verging. Aber nach Pfingsten will
Schnorr(3) antreten, er photographirt gern
und gut. Dann sollst Du bald Abzüge haben.
In der That geht jetzt ein Wandel mit mir
vor, aber er ist doch logisch, also eher Fortschritt
zu nennen; nur die kleine Liegende(4), welche
Du in Dresden sahst, war ein hastiges Ander-
wollen und wirkt nicht gerade beruhigend.
Künstlerisch ist mein Erfolg auch gut jetzt –
freilich nur bei wenigen Eingeweihten.
Seite 2
Die kleine Bronze habe ich auch verkauft. –
Bei Arnold(5) wird zumindest nichts weiter werden. –
Ich arbeite jetzt wieder ziemlich viel, obwohl ich
aussetzen wollte. Wir gehen aber Ende Juni
für längere Zeit an die Ostsee nach Travemünde,
wo ich schon gemietet habe. Obwohl es jetzt recht
schön in unserer Wohnung ist, brauchen wir
doch alle drei eine Abwechslung.
Ben(6) und Nora(7) sind gesund, und das macht
uns recht glücklich; wenn es doch noch lange
so bleiben wollte. –
Was wird nun aus einem Wiedersehen, lieber
Freund? Ich bin noch nicht einmal bei
meinen Angehörigen in W.[Waldheim] gewesen, mein Vater
war sehr krank; ich will die Pfingsttage allein mal
dahin gehen. Da wir nun vor Sept. nicht wieder
aus Travemünde zurückkommen werden, weiss
ich garnicht, wie ich mich mit Dir treffen kann.
Was thut Ihr, wenn Du Urlaub hast?
Travemünde kann natürlich auch sehr unan-
genehm für uns sein; es sind immer bekannte
Maler dort, welche es mir aufgeredet haben.
Dann würden wir es nicht lange aushalten. –
Ich muss Dir noch sehr für Deinen freundlichen
Brief danken. Es war mir besonders lieb, dass
Du mir die Gedichte mitschicktest; ich kannte sie
nicht, finde sie aber sehr schön, und sie sagen mir
so viel von Dir wie Du bist. Bei Deiner grossen
Schweigsamkeit hatte ich ja keine Ahnung, wo-
mit Du dich beschäftigst. Leb wohl, lieber Freund,
grüsse Frau und Kind bestens von uns –
ich bin immer Dein treuer Kolbe.