Brief von Wilhelm Reinhold Valentiner an Georg Kolbe

(Lynnewood Hall, Elkingpark P. A.)

20. Nov. 21

Lieber Kolbe,

Wie ich Ihnen heute tele-
graphierte, wünscht sich Mrs.
Widener(1) den Nijinsky(2)!(ich
weiss immer noch nicht, wie
man ihn schreibt)–Tänzer zu
Weihnachten. Ich habe als
Preis 25000 Mark angege-
ben, das ist in amerikan.
Geld sehr wenig. – Auch hat
mich Mr. Widener(3) gebeten,

Seite 2

wenn ich zurück bin, für ihn
noch zwei kleinere Bronzen
auszusuchen, die er in seinem
Landhaus aufstellen möchte.
Es müssen aber frühere Werke
von Ihnen sein; für Ihre
neueren Arbeiten ist man
hier noch nicht reif. Auch
ist ihnen eine Patina in
der Art Ihrer älteren Bron-
zen – womöglich etwas glänzend –
einstweilen noch verständlicher.

Seite 3

Man muss hier sehr langsam
arbeiten, wenn man etwas
erreichen will, weil man
in schrecklichen Konventionen
befangen ist. Aber im Lauf
der Zeit wird es schon werden,
wenn ich nicht mehr der
erste und einzige Deutsche
hier drüben bin, der für
die moderne Auffassung ein-
tritt. – Ich komme hier
oft in allerhand schwierige
Filiationen, z. B. habe ich
morgen das Vergnügen mit

Seite 4

der französischen Kommission, mit
Viviani, Berthelot(4) u. a. zu früh-
stücken, und morgen Vorm.
muss ich mit dem angesehen-
sten französ. Architekten Paul
Cret(5), der die Städte hier mit
klassisch- fr. akademischen Gebäu-
den versieht, die Museumsplä-
ne für Detroit(6) beraten. Man
erlebt hier sehr viel, aber
ich bin froh, wenn ich aus
der Hetze wieder heraus bin, und
einmal wieder gute moderne
Kunst in Deutschland sehen
kann. Wie gerne hätte ich
Ihre Ausstellung gesehen!
Meine Frau hat mir darüber

Seite 5

(Einfügungen Seite 1, li. Seitenrand)

berichtet, u. auch von Ihren freundlichen Besuchen
In den Zelten. Bitte telephonieren Sie einen Gruss
hinüber, wenn
Sie Lust ha-
ben. Und
viele Grüsse
an Ihre Gattin u. Frl. Nora(7)

Herzlich

Ihr ge-
treuer
Valentiner.