Inhaltsangabe
Transkription
den 14.X.21.
Arensdorf 
i./d. Neumark. 
Lieber Herr Kolbe,
Sie haben nicht nur meinem 
Mann, sondern auch mir eine 
große Freude gemacht. Ich 
finde die Büste(1) ganz vorzüg-
lich geworden! Die Schlicht-
heit in der Auffassung, 
die Ruhe im Ausdruck 
sind ganz so, wie ich es mir 
gewünscht hatte. Sie haben 
schon recht, wenn Sie sagten, 
daß das Kunstwerk so wird 
wie der Portraitierte es gern 
haben möchte, da es bei dem 
Sitzungen das Gesicht aufsetzt, 
das er am liebsten festgehalten 
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haben möchte! Bei mir 
trifft das wenigstens zu, und 
wenn Heinz(2) diese Auffassung 
von mir eine „von der idealen 
Seite“ nennt, um so besser! 
Die Ähnlichkeit findet jeder 
ganz fabelhaft, und mein 
Mann ist überhaupt in hellster 
Begeisterung! – Unheimlich, 
wie der Kopf ein eigenes 
Leben hat. Er kommt mir 
nun vor wie ein Doppel-
gänger, und ich glaube, daß 
in späteren Jahren oft 
eine stille Zwiesprache 
zwischen ihm und mir statt-
finden wird – „Bist du noch 
ich?“ – Wie gut, daß Sie den 
Mund geschlossen haben. 
Es ist mir so wenig gegeben, 
das zu sagen, was ich em-
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pfinde, und meist kommt 
alles so ganz anders heraus, 
daß mir ein sprechender Mund 
oft eine unangenehme 
Erinnerung an Mißklänge 
sein würde – und ich 
schweige so gern und krieche 
in mich hinein – eben 
in Fragen, die mich am 
meisten berühren.
Die Stunden in Ihrem 
Atelier waren für mich so 
voll von Erinnerung an 
eine Frau, die ich über alles 
verehrt habe, und die für 
mich sehr, sehr viel gewesen 
ist. Ich weiß nicht, wie es 
kam, daß bei Ihnen die 
schmerzliche Erinnerung 
so ungeheuer wach wurde, 
aber sie war immer da, und 
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wird sich auch für mich immer 
mit diesem Portrait verbinden. 
Und das bedeutet einen 
inneren Wert für mich. – 
Es war Marguerite Kühlmann(3) 
– – das schöne sinnende 
Mädchen(4), das ich so gern in 
meiner nächsten Umgebung 
dauernd gehabt hätte, liegt 
nun leider doch nicht im 
Bereich unserer Möglichkeit.
Man kann ja aber auch nicht 
alles besitzen was einen 
begeistert! Sehr gerne aber 
hätte ich eine gute Photo-
graphie davon, um dem 
arg schlechten Gedächtnis auf-
zuhelfen. Ob es wohl sehr un-
bescheiden wäre, Sie darum 
zu bitten? Oder kommt 
eine gute Aufnahme davon 
in das erscheinende Buch über
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Ihre Werke? Und ob Sie 
auch eine Aufnahme von 
Marguerite Kühlmanns 
Büste(5) haben? Ich wäre so 
dankbar dafür! – 
Allmählich werde ich Ihnen 
wohl lästig werden mit 
all meinen Bitten! Es 
kam mir ja auch kleinlich 
vor, daß ich wegen der 
Fertigstellung meiner 
Büste damals so drängte; 
aber Sie hätten die un-
geheure Freude meines 
Mannes sehen müssen, als 
er am Morgen des Hochzeits-
tages herunter kam und 
der Kopf in bester Beleuchtung 
auf seinem Schreibtisch 
auf erhöhtem Sockel stand. 
Er war bis zu Tränen gerührt!
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Also hat es sich sehr gelohnt, 
daß Sie meinem Wunsch 
so freundlich nachkamen und 
ich bin Ihnen sehr sehr dankbar 
dafür. Es ist so viel schöner, 
wenn man den ersten Blick 
auf ein solches Kunstwerk 
in gesammelter, ruhiger 
Festtagsstimmung wirft 
und nicht sich erst aus dem 
Allerlei des Alltags hinüber 
finden muß. – 
Die rötliche Patina finde 
ich sehr schön, möchte aber 
selbst nicht gerne etwas 
daran tun, und da sich auf 
der rechten Backe ein schwarzer 
Fleck befindet, so werde ich 
Ihnen nächsten Samstag 
die Büste noch einmal bringen.
Ich versuchte, mit bloßen
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Händen reibend, ihn zu ent-
fernen, doch gelang es mir 
nicht, und ich möchte nichts 
verderben. Ich hoffe, es ist 
Ihnen recht, wenn ich Ihnen 
den Kopf zur Beobachtung der 
Patina darum nochmal 
bringe. – Vielleicht kann 
ich dann auch Dirksens Portrait(6) 
bewundern.
Dann werde ich meinen 
Dank auch noch mündlich 
wiederholen – so gut es eben 
geht – aber ich hoffe, daß 
Sie auch aus diesen Zeilen 
herausfühlen werden, 
wie große Freude Sie uns 
Beiden gemacht haben. – 
Mein Mann würde sich riesig 
freuen, Sie auch einmal 
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kennen zu lernen, und ich 
möchte hier nochmal wieder-
holen, daß es uns eine große 
Freude machen würde, wenn 
Sie sich einmal bei uns an-
sagen und mit Ihrer Frau 
Gemahlin besuchen würden. 
Vielleicht fliehen Sie ganz 
gern mal {aus} dem Getriebe der 
Stadt in die die ländliche Ruhe 
und erholen sich hier etwas. 
Auf Wiedersehen Samstag 
und einen herzlichen 
Gruß von Ihrer 
Lotte Böttinger