Inhaltsangabe
Transkription
Verehrter Herr Professor,
wenn man mit 18 Jahren Ihre Werke in Paul Cassierers [sic] 
Ausstellung(1) gesehen hat, dann schreckt man vor keinem 
Schritt zurück, um sie sich wenigstens in der Photographie 
zu verschaffen. Von diesen Ihren jüngsten Arbeiten sind 
aber noch keine Wiedergaben im Handel zu haben. Darum 
wende ich mich jetzt mit einer Bitte an Sie: Haben Sie 
nicht vielleicht irgendwelche Photographien irgendwelcher von 
diesen Werken übrig? Für einen, der sie notwendig braucht? 
Warum mir diese Kunstwerke so unentbehrlich sind? – 
Ob das Worte sagen können? – 
Da kommt mir ein Bild. Das sagt vielleicht ein wenig davon. 
Jenes auferstandene Mädchen mitten in Michelangelos 
wildem Jüngsten Gericht. Mitten in den wogenden 
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Beziehungen grossen Lebens diese Entzückung – : erstes, 
noch nie gefühltes Fliegen, Schweben, Lächeln. Das ist Ver-
klärung. Flügelschlag der Seele.
Und das schenken Sie uns: dass wir plötzlich die 
tägliche Last des Lebens als Gnade und Beflügelung ahnen, 
dass wir hoch auf tasten: das Leben ist nur schwer, weil 
es gross ist. – Gross. – – –
Jener Beethoven(2). Vielleicht hat ihn fernher ein 
jäher Adlerschrei gereckt oder ein Gebirge stand plötzlich 
in im auf, rein wie das Ragen selber. Da warf er die 
Nacht und das Grübeln ab wie einen Mantel ... um 
ihn wächst ein Seelenmorgen ... dämmert hoch ... weit, 
weit ...
O und alle diese jungen Mädchen! Mädchenhafter 
fast als Tanagrafiguren. Aber ihren Gebärden sieht man 
es an, dass sie seit jener griechischen Zeit Jahrhunderte{tausende}
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hatten, um zu wachsen – ins EWIGE.
Verzeihen Sie, dass ich mich doch zu Worten hinreissen liess.
In tiefer Verehrung
Kurt Leonhard,
Bln.-Karlshorst
Ohm-Krügerstr. 1.
 
                     
                     
                     
                     
                     
     
     
     
    