Transkription

Berlin-W am 2 9./X 04

Lieber Freund,

da ich heute Aufnahmen von der
Derleth-Büste(1) machen konnte, denn
die Bronze gelangte endlich in’s
Atelier, so darf ich Dir nun wenigstens
Hoffnung machen, daß im Laufe
der Woche noch Abzüge nach Dresden
gelangen werden; falls natürlich
die Aufnahmen geglückt sind.

Soll ich über Derleth(2) xxxxx persönlich
noch reden? Dein letzter Brief fordert
direkt dazu auf, und doch werde ich es
besser lassen; Worte sind einmal
nicht meine Aussprache; was ich

Seite 2

an und in Derleth sehe, versuchte ich
zu modellieren. Dein Brief
war mir erst recht schwer verständlich,
natürlich fand ich mich nach und nach
zurecht und weiß aber trotzdem
nicht, was ich Dir erwidern oder
beistimmen soll. Was Derleth
anderen geben kann, hast Du
ja schon, wie ich aus dem Briefe
sehe; ich bewundere Deine schöne
Auslegung. Ich hätte diese Worte
nicht dafür finden können,
da ich überhaupt für nichts Worte
finde und immer mehr ahne.
Derleth war für mich einmal ungeheuer

Seite 3

viel und einfach nur, weil ich
mein ganzes Ahnen mit ihm
verband. Persönlich kann ich aber
mit dem sonderbaren Menschen
nichts mehr anfangen. Er ist mir
nicht die Verkörperung dieser schönen
Idee, von der Du schreibst (der Befehlende
und der, dem befohlen wird, sind Eins),
sondern ein Unglückliches Genie, dessen
stärkste Sxxx {Sucht} die zu lehren ist.
Er braucht Gefolge wie natürlich jeder
Mensch, aber er scheut auch kein
Mittel, dasselbe um jeden Preis an sich
zu locken. – Doch genug hiervon. Wenn
Du kommst, können wir reden.

Seite 4

Und nun muß ich Dir sagen, daß
wir sehr erfreut sind, Dich sobald hier
zu sehen, und hoffen nur, daß keine
Änderung den Plan zerstören wird.
Es ist bedauerlich, daß Deine Frau
wieder fehlen wird, jedoch der Grund
dazu erfreut uns wieder. Nun
möchte ich Dir noch nahe legen, doch
ja schon am Vorabend des bestimmten
Tages nach hier zu kommen; Du
weißt wohl selbst, wieviel ein Abend
wert sein kann. Ich bitte Dich recht herzlich,
das zu ermöglichen, nichtwahr?
Wir müssen doch einen langen Abend
bei Licht zusammensitzen mit dem Gefühl,
daß es noch ein „Morgen“ geben wird.

Alles Beste Deiner Frau und Dir
Kolbe.

Anmerkungen

  1. Werk Georg Kolbes, Porträt Ludwig Derleth, 1904

  2. Derleth, Ludwig (3.11.1870, Gerolzhofen – 13. 1. 1948, San Pietro di Stabio, Schweiz), Lehrer, Schriftsteller, Mitglied des „George-Kreis“

    http://d-nb.info/gnd/18711420X