Transkription

(Dr. Hermann Beenken, Universitätsprofessor, Leipzig O 27, Denkmalsallee 110 I, Fernruf 666 82), 6.6.47

Sehr verehrter Herr Professor Kolbe!

In einer kleinen Sammlung moderner Bildhauerzeich-
nungen, deren am frühesten von mir erworbenes Stück ein
früher sitzender Mädchenakt von Ihrer Hand war (leider
auf einem Papier, das mit den Jahren sehr nachdunkelte),
besitze ich seit einiger Zeit auch das Blatt mit zwei
Ringern(1)
, dessen Photo ich Ihnen mit diesem Brief
vorlegen möchte. Ich erwarb es als „anonyme Bildhauer-
zeichnung“. Da die Künstlerische Handschrift der Ihren
in den Jahren um 1910 äußerst ähnlich ist, möchte
ich mich mit der Bitte an Sie wenden, mir, wenn es Ihnen
möglich ist, und sei es auch nur vermutungsweise,
den Künstler namhaft zu machen. Der Händler, bei dem ich
das Blatt einsah, und auch ich selber, hielten es nicht für
ganz ausgeschlossen, daß die Zeichnung, obschon gewisse
Schwächen dagegen zu sprechen scheinen, von Ihnen selber
herrühren könne.

Vielleicht darf ich mich und mein Interesse ein wenig
damit legitimieren, das[s] ich Ihnen ein paar zufällig
noch in meiner Hand gebliebene Korrekturseiten
aus meinem 1944 erschienenen Buche(2): „Das 19. Jahr-

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hundert in der deutschen Kunst“ beilege, auf denen – ob-
schon das Werk sonst im allgemeinen die lebende Kunst
nicht mehr behandelt – einiges Wenige auch über Ihr
Schaffen und das einiger Ideen deutscher Generationsge-
nossen gesagt ist. Ein paar Seiten später komme ich außer
auf Scheibes(3) Arbeiten auch noch auf Ihr Stralsunder
Kriegsdenkmal(4)
zu sprechen (von dem ich für die zweite
Auflage meines Buches ebenso wie von dem Elberfelder(5)
gern wüßte, ob es noch am Platze geblieben oder ent-
fernt, wenn nicht ganz zerstört worden ist).

Sie würden mich zu großem Danke verpflichten,
wenn Sie die Freundlichkeit haben wollten, mir
auf meine Frage in Kürze Antwort zukommen
zu lassen.

Mit den ergebensten Empfehlungen

Ihr
H. Beenken.

Anmerkungen

  1. s. dazu Antwortschreiben GK.16_002

  2. Hermann Beenken: Das neunzehnte Jahrhundert in der deutschen Kunst. Aufgaben und Gehalte. Versuch einer Rechenschaft. Verlag F. Bruckmann, München 1944

  3. Scheibe, Richard (19.4.1879, Chemnitz – 6.10.1964, Berlin), Bildhauer und enger Freund von Gerhard Marcks und Georg Kolbe

    http://d-nb.info/gnd/118754327
  4. Werk Georg Kolbes, Krieger-Ehrenmal Stralsund, eingeweiht November 1935

  5. Werk Georg Kolbes, “Aufruf“, 1914/17. 1914 nahm Kolbe an einem Wettbewerb für einen Brunnen in Wuppertal-Elberfeld erfolgreich teil. Die Aufstellung des Brunnens erfolgte erst 1919.