Transkription
1. 6. 33.
Lieber Kolbe!
Vor einigen Tagen war ich in Stral-
sund, von wo ich zu einem Entwurf
für ein Ehrenmal(1) aufgefordert war.
Dort wurde ich von einer Abordn-
ung kaltblütiger Heringsbänd-
iger an Ort und Stelle geleitet u.
erfuhr, daß mir die Aufforderung
auf Dein Anraten zu teil geworden
war und daß auch Du einen Ent-
wurf machen würdest. Da Du, so
viel die Herren wenigstens wußten,
noch nicht in Stralsund warst,
um den geplanten Platz zu sehen,
möchte ich Dir mitteilen, daß
er, meiner Ansicht nach, recht
verlockend ist. Man könnte das
Ding auf eine Quaimauer di-
rekt an die See stellen. Im Übrigen
aber entscheiden 3 unter sich feind-
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liche Parteien über die Annahme,
und so ist es leider noch keinem
der vielen Bildhauer, die bereits
Entwürfe gemacht haben, gelungen,
zu Stuhle zu kommen. Da ich
nun aber die weite Reise gemacht
habe, werde auch ich mein
Glück versuchen. Falls Du Dich
für eine nähere Beschreibung
der Örtlichkeit interessierst,
würde ich versuchen, sie Dir zu
erklären. In Berlin habe ich dies-
mal bloß zwischen den Bahn-
höfen in der Akademie Halt
gemacht, wo ich mir Deinen
Helden(2) nochmal genau ange-
sehen habe. Ich wäre Dir sehr dank-
bar, wenn ich auch von dem ei-
ne Aufnahme bekommen
könnte. Ich sah dann noch 3–4
andere Plastiken mit einigem
Gefallen. So was wie Gulbransson(3)
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mag ich persönlich nicht. Die
Cartons zu dem großen Bild von
Slevogt(4) geben gar keinen Begriff
von dem Gemälde selbst. Man
hätte sie nicht in Berlin ausstellen
sollen. Das Andere sah ich nur
flüchtig. Mir schlotterten aber hie
und da die Kniee. Wie soll so
eine Ausstellung in 10 Jahren
aussehen? Aber ich hatte mir ja
vorgenommen, künftig das
Maul zu halten. Auf ein Tele-
gramm hin fuhr ich sodann zu
meinem Vater, den 2 Ärzte für
sterbend erklärten. Als ich ein
paar Stunden bei ihm gesessen
hatte, fing er wieder an zu atmen
und sogar mit mir Erinner-
ungen an Stralsund aus dem Jahre
1898 auszutauschen, die mir gänz-
lich entfallen waren. Jetzt bin ich
wieder in Frankfurt.
Herzlichen Gruß
Dein
Scheibe.