Transkription

5. 1. 33

Lieber Kolbe!

Eigentlich nicht gern und nur
um den Sitten der gegenseitigen Ent-
geltung zu entsprechen, schicke ich
Dir hiermit ein paar Fotos. Ich
kann mir nicht vorstellen, daß
sie Dir erfreuliche Eindrücke ver-
mitteln werden. Der geplante griec-
hische Frühling ist eben bei mir
noch immer nicht in Sicht. Der
Steinengel {2,50 m hoch} ist auf Wunsch der
frommen Gemeinde Sindlingen
bei Frankfurt gemacht, der liegen-
de Mann ist in Hamburg. Der
Stehende ist 2 mtr. hoch. Das Por-
trait stellt eine Tante von mir
dar, die längst gestorben und

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deren Züge ansonsten wol in Nieman-
des Gedächtnis mehr haften.

Meinen Bericht ehrenamtliche
Preisrichtertätigkeit betreffend
hast Du hoffentlich erhalten.

Die Arbeit xxx an meinem Traktat
über Dich kommt immer wieder
ins Stocken. Ich wollte etwas über
die Bedeutsamkeit der Sache
sagen und die im ersten Ab-
schnitt genannten Begriffe näher
erläutern. Es fehlen mir dazu die
Worte. Ich habe deshalb einige
Abhandlungen anderer gelesen,
so von Schiller und Goethe über
den Unterschied zwischen dem
{blos} Erhabenen und dem Schönen.
Die Vollendung, mit der sie dar-
über im Allgemeinen geschrieben
haben, könnte noch jeden ent-

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mutigen, Ähnliches zu versuchen.
Diese Abhandlungen sind wol aber
zu einer absolut stillen Berühmt-
heit gelangt. Auch mir waren sie,
offen gestanden, bis dato unbe-
kannt. Ich habe auch feststellen
können, daß Leute, die sie noch
kennen und an sich hoch schätzen,
an der geradezu prinzipiellen Ver-
manschung der beiden Begriffe
in Kunstdingen zum Schaden
des Urteils mutig teilnehmen.
Es hätte also doch wol Sinn, die
Betrachtung mit der Anwendung
auf ein neues konkretes Beispiel
wieder einmal anzustellen. Vom
philosophischen Standpunkt aus
liegt darin entschieden das Pro-
blem der Kunst. Ich glaube auch
nicht, daß der Dionysos bei sei-

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nem Anblick im Spiegel unbe-
dingt zerplatzen muß, wie es in
einer späteren griechischen Sage
geschieht.

Zum neuen Jahr wünsche ich
Dir und Keudells(1) alles Gute
und grüße Euch herzlich

Dein Scheibe.

Anmerkungen

  1. Familie von Georg Kolbes Tochter Leonore (verh. seit 1923 mit Kurt von Keudell (12.1.1896, Breslau –3.1.1978, Hannover, Diplomat und Maler)