Inhaltsangabe
Dank für das Mappenwerk "Faust-Zyklus" von Georg Kolbe. Zu einer möglichen Ausstellung der Werke in einer Münchner Galerie [Lithauer?].
Transkription
Schorn bei Unterstein.
Post Berchtesgaden.
Lieber Herr Kolbe,
wenn ich in den letzten
Monaten Ihrer gedachte,
war es immer mit einem
Gefühl tiefer Freude.
Wußte ich doch, daß Ihnen
das Leben zur Heimath
geworden ist durch die
Nähe einer liebenden
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Frau. Ich vermag
nicht Ihnen mehr hierüber
zu sagen. Außer dem
Schmerz giebt es etwas,
das ich mit eben solcher
Scheu und Ehrfurcht
nicht mit Worten zu
berühren wage, und
das ist – ein großes
Glück. Gott segne
das Ihre.
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Der Zweck meines
heutigen Briefes ist
Sie zu fragen, ob Sie
vielleicht gesonnen
wären, in dieser Zeit
großen Verkehrs in
München bei Littauer(1)
ein Exemplar des
Faustwerkes(2) oder
das einzelne Blatt
auszustellen. Sollten
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Sie es wünschen, so
ist es wohl am besten,
Sie setzten sich mit
Littauer direkt in
Verbindung. Ich war vor
meiner Abreise
bei ihm u. habe ihm
von der Möglichkeit
dieser Ihrer Bestimmung
gesprochen.
An diese ganz prosaische
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praktische Anfrage,
möchte ich noch einige
Worte tiefen Dankes
an den Schöpfer des
Werkes anschließen.
Dank für alles, was mir
das Werk geworden
ist seit der Zeit als
ich es erhielt.
„Ihr Anblick giebt den
Engeln Stärke“ – diese
hohen Worte verstehe ich
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erst ganz, seitdem ich das
Bild sehe.
Und dann, jenes Blatt,
die Mutter Erde, zieht mich
immer gewaltiger an. In
der starken, stillen Gestalt
der Frau spricht das große
heilig[?] gegenwärtige Erbarmen
der Allmutter zu mir.
Und in der Gestalt des
Menschen in ihrem Schooß
ist die sich selbst auflösende
Hingabe ausgedrückt, die
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wir zuletzt ihr u. immer
wieder ihr entgegenbringen. –
Ich habe mich gefreut,
Ihr Werk Herrn Kattner(3)
zeigen zu können. Er
war sehr ergriffen.
Sie werden wissen, daß
Fürstin Wallerstein(4) zur
Kur in Ragatz [Bad Ragaz] weilt.
Sie fühlt sich wohl und
geborgen in der Heimath
ihrer Kinderjahre – ob
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aber die Kur wirklich
helfen wird?
Ich adressiere diesen
Brief nach Leipzig einge-
schrieben, damit er Ihnen
nachgeschickt werde.
Ich grüße Sie, lieber Herr
Kolbe und Ihre Frau sehr
herzlich
M Grfin Zichy
26/ 9[?] 1902.