Transkription

D.[Dresden] 2. Dezember 04.

Lieber Freund. Länger als ich wünschte bin ich durch meine Erkrankung,
dann durch die Arbeit, die sich inzwischen aufgehäuft hatte, abgehalten worden,
Dir zu schreiben. Ich habe aus dem lieben Brief, den Deine Frau schrieb,
und für den meine Frau einstweilen herzlichst danken läßt, gehört,
daß Deine Ausstellung bei Cassirer(1) schon eröffnet ist. Mein Bedauern
ist doppelt, in der letzten Zeit keine Zeitung in die Hand bekommen
zu haben; mir sind dadurch wahrscheinlich die Kritiken entgangen, auf

die ich doch sehr begierig war. Nur im Tag(2) las ich noch eine kürzere Notiz,
die zwar ganz verständig und würdig war, aber doch bewies, daß der Mann
den Sachen gegenüber noch unsicher war und jedenfalls noch nicht das
„Problem“ gefunden hatte, über das er hätte reden können. Denn
sie können nie etwas über den Künstler sagen, sondern nur über
eine Wortfigur, mit dem [der] sie ihn umschreiben. Und diese gangbare
Münze mit Deinem Bild hat noch keiner ausgegraben. Dagegen ist
sie längst vorhanden für van Gogh, und wenn sie da auch schon ein

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wenig abgegriffen ist, so kann sie doch noch leise und lustig weitergegeben
werden. Aus diesem Grunde fürchte ich, daß Dir die gleichzeitige van Gogh-
Ausstellung nichts genützt hat; wenigstens hatte der Dich im Lokalanzeiger
entschieden an die Wand gedrückt. Wie dumm das ist! Gerade da
hätte einer nun doch mal Geist zeigen können. Wenn Du von anderen
Kritiken hörst, so bitte, teile mir doch die Zeitungsnummern mit, in
denen sie sich finden. Ich lasse sie mir dann auf dem Amt heraussuchen. –
Der Besuch bei Dir hat mir sehr wohl gethan, obwohl ich mich ein paar mal
vor Dir geschämt habe, Deiner Schaffensfreudigkeit muß wohl mein Dasein
als ein sehr faules erscheinen und ich bin unendlich weit davon entfernt,
mein Wollen mit dem, was ich thue, in Einklang gebracht zu haben. Gerade
das mir zu Gemüthe zu führen, ist mir ein wertvoller Gewinn, wenn
ich mit Dir zusammen bin. Wie sehr wünschte ich, Dich bald aus Deinen
Sorgen befreit zu sehen! – Der junge Schnorr(3) ist, wie mir meine Frau
sagte, noch gar nicht in Berlin. Den Freund meines Bruders, von dem
wir sprachen, hoffe ich, zu Weihnachten hier zu sehen. Er ist jetzt in Karls-

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ruhe.

Im Moment kommt Deine Karte, leider wieder mit der negativen
Nachricht. Vielen Dank für Eure Grüße. Daß Nora(4) das Buch mag, freut mich,
der Text geht sie ja Gott sei Dank noch nichts an; ihn finde ich zum
Teil ganz unsinnig, nicht naiv, sondern sentimental, und noch dazu Mom-
bert(5)
sche Sentiments. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Kind aussähe,
das sowas möchte.

Dein Urteil über Hettner(6) ist sehr richtig. Er wird wohl auch ganz aufs
Bildhauern jetzt wenigstens verzichten. Trotzdem gefällt mir vieles an
dem Bogenschützen außerordentlich. Er spielt nur aber hier auf einem
Instrument, das er nicht beherrscht, die paar groben Geschichten wie
die Brust oder das rechte Bein bringen mich nicht so sehr zu der
von Dir ausgesprochenen Überzeugung als die gequälten Detailversuche.

Übrigens hat er mir in seinem letzten Brief versprochen, nach Berlin über-
zusiedeln. Und das sofort. Darüber bin ich froh. Traurig dagegen bin
ich, daß er die Frau, von der ich Dir erzählte, heiraten will. Er hat sie

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offenbar sehr lieb und dafür wird er ja seinen tieferen Grund haben. Aber
seine Zukunft wird dadurch sehr sorgenvoll, und das zu ertragen erscheint
er mir weniger geeignet als sonst was. Er wird nun wahrscheinlich
im Dezember schon nach Berlin kommen, um zu mieten. Seine Ehegeschichte
bitte ich, weiter ganz geheim zu halten. Ich habe mit niemanden darüber ge-
sprochen als mit Dir und meiner Frau. –

Viele herzliche Grüße von uns beiden.

Hermann Schmitt.

Anmerkungen

  1. Cassirer, Paul (21.2.1871 Görlitz – 7.1.1926, Berlin), Galerist, Verleger

    http://d-nb.info/gnd/118870645
  2. „Der Tag“ , illustrierte Tageszeitung in Berlin (1901-1934). Arthur Seemann (30.11.1861, Reudnitz bei Leipzig – 23.12.1925 Meran) übernahm 1899 den Verlag seines Vaters Ernst Arthur Seemann. Herausgeber der Zeitschrift für bildende Kunst, in der 1904 ein wichtiger Beitrag von Hermann Schmitt über den jungen Kolbe erschien

  3. Schnorr von Carolsfeld, Ludwig (22.9.1877, Dresden – 8.5.1945, Berlin), Kunsthistoriker und Fotograf von Kolbes Werken

    http://d-nb.info/gnd/116849053
  4. Leonore, Tochter Georg Kolbes (19.11.1902, Leipzig – 28.06.1981, Berlin)

  5. Mombert, Alfred (6.2.1872, Karlsruhe – 8. 4. 1942, Winterthur/ Schweiz), Schriftsteller und Lyriker

    http://d-nb.info/gnd/118583417
  6. Hettner, (Hermann) Otto (27.1.1875, Dresden – 19.4.1931, ebd.), Maler und Bildhauer

    http://d-nb.info/gnd/116779276