Inhaltsangabe
Transkription
Dresden, d. 2. Februar 05
Lieber Freund,
wir hatten gehofft, Dich im Januar einmal hierzusehen bei Ge-
legenheit einer Sonderausstellung. Nun höre ich von Hettner(1), der 
vorgestern hier war, daß durch Richter(2)s Schuld diese Aussicht wieder 
ad calendas graecas verschoben werden muß. Es ist recht ärger-
lich für Dich und auch für uns, die wir uns auf Dich gefreut hatten. 
Ich habe nun von Hettner gehört, daß Ihr alle nicht wohl ward. 
Nun ist hoffentlich alles wieder vorbei und auch Nora(3) wieder 
so quicksilbrig wie sie sein kann. Von Dir habe ich zuletzt 
über den Seemann(4)schen Auftrag gehört; das ist auch ein ge-
schmackloser Kerl und hätte Grund, sich eines solchen Auftrags 
zu schämen. Und das ist nun ein Mann, der täglich mit der 
Kunst ernsthaft zu thun hat; dann macht er so was philiströses. 
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Für Dich freue ich mich nur deshalb, weil ich denke, es wird kein 
schwer verdientes Stück Geld sein. Die Geschichte mit dem hüb-
schen Auftrag der Frau Tschudi(5), die mir Hettner erzählte, hat mich 
sehr geärgert. Wenn wirklich der Grund nur in der vorgeb-
lichen Terrakottatechnik lag, so nenne ich das ein leichtfertiges 
in den Tag hineinreden; mag sie sich rehabilitieren, indem sie 
bald einen anderen Auftrag an Dich giebt. 
Ich will Dir aber nicht von Kunst und Handwerk reden, da ich Dir 
doch nichts sagen kann als was Du weißt und es einer besonderen 
Versicherung meiner Anteilnahme doch wohl nicht bedarf. 
Wir leben jetzt in der Erwartung eines Kindchens sehr schön 
still zusammen. Meiner Frau geht es gut und sie ist heiter, 
wenn ich ihr auch manchmal anmerke, wie viel ihr so ein 
Kleines schon jetzt zu schaffen macht, ehe es da ist. In vier 
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Wochen ist dann hoffentlich alles gut vorüber gegangen, und Du 
kannst Dir vorstellen, wie ich mich auf das kleine lebendige 
Menschenkind freue. Möchte es gesund und kräftig sein! 
Hettner scheint ja nach seinen Erzählungen in Berlin nicht 
dürftig angefangen zu haben. Er ist jetzt gut daran, und 
da es ihm, wenn er sein Vermögen nicht schont, in den nächsten 
10 Jahren an nichts fehlen kann, so weiß ich wirklich nicht, 
ob die äußeren Umstände für einen Menschen günstiger 
sein können als für ihn. Ich wünsche ihm noch dazu, daß ihn 
diese äußeren Dinge immer weniger verwirren und immer 
weniger abziehen mögen von der großen und ohne tiefe Schmerzen, 
wie ich glaube, nicht zu bewältigenden Arbeit zur Persönlich-
keit. Denn es liegt heute so unglaublich viel brauchbares, 
ja gutes auf der Straße, daß einer schon auf einer ganz emi-
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nenten sittlichen Höhe stehen muß, um der Menschheit etwas sagen 
zu können. Über diese Wahrheit täuscht man sich leicht in dem Gefühl 
des unendlich einfachen, das jeder vor dem reifen Werk eines ganz 
ernst zu Nehmenden hat. Denn der Überschuß über das Werk des 
Talents hinaus ist gar nicht so augenfällig. Wer aber für geistige 
Werke einen Maßstab hat, muß schließlich darauf kommen, daß alles 
an der Persönlichkeit liegt, zu der einer sich selbst erzieht. Hettner 
hat darin in den letzten Jahren, wie ich meine, Fortschritte gemacht. Der 
Aufenthalt in Berlin soll ihm nun dazu helfen, den ganzen Umfang 
dieser Verantwortlichkeit zu begreifen. Hoffentlich gewinnt Ihr 
an ihm und seiner Frau gute Freunde. Daß seine Frau Euch 
gefallen habe, schloß ich zu meiner Freude aus dem, was er mir erzählte. 
Aufs Frühjahr besuche ich Euch dann in Berlin und freue mich darauf, 
sie dabei kennen zu lernen. – Der ganzen kleinen Familie 
sagen wir viel herzliche Grüße. 
Hermann Schmitt.