Transkription

Montana-Vermala (Wallis)
Bella Lui, 6.7.31

Lieber Georg. Seit vielen Monaten sitze ich hier in einem
Lungensanatorium. Als ich aus Ostafrika vor einem Jahr
zurückkam, war ich noch sehr frisch; dann kam die Krankheit,
langsam aber quälend; sie wurde, wie so oft, sehr spät er-
kannt, und nun sind die Lungen kaput[t]. Ich habe mich hier
gut erholt und werde in ganz kurzer Zeit wieder heimkehren.
Aber freilich bin ich nicht gesund und werde es auch nicht
wieder werden, wenn ich mich nicht ganz still halte; das wird
mir schwer möglich sein.

Die letzten Jahre waren für mich innig und schön. Seitdem ich
mich von dem öden Beamtendasein freigemacht habe, mußte
ich mir die neue äußerliche Existenz wieder schaffen. Ich konnte
mich von kleinlichen äußeren Sorgen frei machen, habe eine
angenehme Wohnung in Pillnitz im Wasserschloß gefunden,
und von dort aus als Standquartier bin ich meiner Arbeit

Seite 2

nachgegangen, die mich viel in Deutschland herumführte und in
Berlin ihren Schwerpunkt hatte.

Nun werde ich gezwungen sein, mich wegen der Krankheit noch
einmal umzustellen, weil es nicht möglich ist, mit angegriffener
Gesundheit das alles in der Hand zu halten, was ich bisher
getan habe. Die stillen Monate, die ich hier zugebracht habe,
waren ein guter Übergang. Ich habe viele, viele Wochen ganz
im Bett, die letzte Zeit dann auf dem Liegestuhl in größter
Einsamkeit zugebracht, und da kann man wohl lernen, das
Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden.

Ich denke gern und dankbar an das zurück, was ich in gesunden
Tagen gehabt habe. Die letzten Jahre waren durch die Arbeit,
die mich befriedigte, und sonst durch manches innere Erlebnis
so, wie die späten Jahre sein sollen; aber der Reichtum des
Daseins lag doch in den jungen Jahren, in denen sich alles ent-
wickelt hat. Hettner(1)s Tod hat mich sehr bewegt. Wir waren
in den letzten Jahren sehr weit auseinander gekommen. Aber
als ich ihn im Dezember zum letzten mal sah und er all seine
Hoffnung daran klammerte, noch einmal zu mir nach Montana

Seite 3

kommen zu können, um hier in meiner Gesellschaft gesund zu werden,
hat mich das Ende, das schon damals unausweichlich war, sehr erschüttert.

Wie viel wundervolle Lebenslust und welches hoffnungsfrohe Kraft-
gefühl habe ich den gemeinsamen Jugendjahren zu danken. Und wenn
er das nicht vollendet hat, was er an Möglichkeiten in sich zu tragen
schien, so kann doch der Erfolg unmöglich allein entscheiden, ob
das Leben einen Wert gehabt hat oder nicht.

Er hat mich vor 30 Jahren mit Dir zusammengebracht. Es war mein
stärkstes menschliches Erlebnis, daß ich Dich und Benny kennen
lernte. Auch unsere Wege haben sich voneinander entfernt. Aber
ich denke viel und intensiv an Euch beide. Und hier, in der
Einzelhaft, ist das alles, was ich früher durch Euch und mit Dir
erlebt habe, wieder an mir vorbeigezogen. Wenn ich mich frei
und sicher fühle, so weiß ich, wieviel ich dabei Benny danke,
vor deren Blick das unechte nicht standhielt. Wie gern wäre ich
einmal mit Dir an ihrem Grab.

Ob und wann ich wieder nach Berlin komme, ist sehr unsicher.
Die Wohnung, die ich dort im Schloß Bellevue hatte, habe ich auf-
gegeben. Ich will jetzt in den Schwarzwald übersiedeln, von

Seite 4

von wo aus ich einen Teil meiner Arbeit, die jetzt in Mannheim liegt,
wieder aufnehmen kann. Dann soll Barmen-Elberfeld drankommen,
wenn die Kräfte ausreichen. Über kurz oder lang muß dann wieder
vollkommene Ruhe folgen.

Komme ich wieder nach Berlin, so werde ich wieder versuchen,
Dich zu sehen; wie oft habe ich das vergeblich getan. Aber ich habe
mich in diesen Monaten mit Dir soviel beschäftigt, daß ich
Dir einen Gruß schicken muß, bevor ich von meinem Berg wieder
heruntergehe. Treulichst Dein Hermann Schmitt.