Inhaltsangabe
Transkription
Dresden d. 20.9.14
Lieber Georg. Die Nachricht von Deinem Aus 
marsch hat mich geradezu beglückt. Ich hielt das 
nicht für möglich, dachte nur an Garnisonsdienst 
und besten falls Etappenwache. Nun fährst 
Du mitten hinein und wirst wirklich dabei sein. 
Kannst das Größte, was unsere Zeit gebracht 
hat, miterleben, irgendwie tätig werden in 
mitten der Gefahr. Ich beneide Dich darum. Etwas 
Ungeheures geschieht und betrifft uns unmittel-
bar, und für uns zurückbleibende ist es kein 
Erlebnis, sondern nur eine Lektüre. Endlich 
gilt einmal wieder Mut und das Handeln, 
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gilt der Mann; und ich wurde nicht mitgezählt. 
Du glaubst nicht, wie ich darunter leide. Ich ver-
suchte mir einzureden, daß ich auch hier einen 
Platz ausfülle. Seitdem auch Du draußen bist, 
finde ich das alles albern. Also ganz herrlich 
so, mein lieber Freund, und um so mehr als ich 
weiß, daß Du das Große daran auch fühlst und 
frei bist von matten Gedanken. Ich kann nicht 
begreifen, daß sich viele dabei nur als Nummer 
fühlen. Ich sehe nur die große Freiheit. Es ist 
nicht mehr der losgelöste Geist, der spielt, sondern 
die Herrschaft des Geistes über den Körper, ihre 
vollkommene Einheit, die den Ausschlag giebt. 
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Wenn der Krieg früher Handwerk war, so entschied 
die rohe Kraft. Heute inmitten der blinden Gewalt 
der Explosivstoffe siegt die vergeistigte Körper-
kraft, trotz alles Zufalls sinnloser Vernichtung. Ich 
finde das unendlich schöner. Ich werde mein Leben 
lang daran zu leiden haben, daß ich nicht dabei 
war. Bei diesem Losgehen spielt der Zweck für 
mich gar keine unmittelbare Rolle. Er liegt jen-
seits, ist nicht Conservierung, sondern der Schutz 
der späteren Möglichkeiten, und dafür jetzt das 
Leben einzusetzen, scheint mir heute das einzige, 
was erträglich ist, für etwas fernes, kaum im 
Bewußtsein liegendes. Nur eben jetzt es wagen. 
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Mein Bruder kam gestern hierher zurück. Er 
lag 5 Tage in der Schlacht bei Meaux, dann 
traf ihn ein Granatsplitter am Bein. Es 
scheint nicht gefährlich zu sein. Er hofft, noch einmal 
in die Front zu kommen. Vorläufig liegt er 
fest, ist aber sehr frisch. Die schrecklichen Dinge in 
Belgien sind ihm wohl erspart geblieben. 
Ich werde mich sehr freuen, wenn ich von dir etwas 
höre. Unsere treuesten Wünsche begleiten Dich. 
Der Tino(1) ist mit seiner Batterie nach Frankreich 
abgefahren, seine Mutter schrieb mir kürzlich. 
Immer Dein. Hermann S.
 
                     
                    