Inhaltsangabe
Transkription
Dresden d. 13. Mai. 05 [Jahreszahl von anderer Hand zugefügt]
Lieber Freund, mein letzter Besuch in Berlin hat mir nicht das 
Zusammensein mit Dir gebracht, das ich mir davon versprochen hatte. Du 
weißt, daß er in erster Linie Hettner(1) galt, und die Umstände, unter 
denen ich ihn antraf und die mich zum Teil sehr überrascht haben, nahmen 
mich noch viel mehr in Anspruch als ich erwarten konnte. So bin ich mit 
Dir entschieden diesmal zu kurz gekommen und hoffe umsomehr 
auf eine nahe Gelegenheit, um Dich und Deine Frau wiederzusehen. Es 
darf dann meine Frau nicht dabei fehlen. 
Ich möchte auf zwei Momente meines Aufenthalts bei Euch noch 
einmal zurückkommen: Zunächst auf die Stunde in Deinem Atelier, 
nach der ich die Empfindung hatte, als hättest Du von mir erwartet, 
etwas zu hören, insbesondere über die stehende Frau(2). Es war mir 
nicht möglich, etwas vernünftiges darüber vorzubringen. Sie stand 
vielleicht zu isoliert; ich hätte gern Deine Gruppe daneben stehen 
sehen. So wie sie dastand, schien sie mir zu wenig dekorativ, zu 
Seite 2
sehr in den Möglichkeiten des Einzeldaseins befangen. Der Eindruck war 
jedenfalls mitbestimmt durch die kleine Figur im Stein, die gerade 
daran sehr frei, sehr typisch ist. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, 
so will mir gerade das Nebeneinander der beiden Arbeiten sehr ge-
fallen, die eine muß der anderen zu Gute kommen. Ich glaube, daß 
ich das noch klarer sehen werde, wenn ich auch Deine Gruppe auf der 
Ausstellung gesehen habe. 
Dann noch eins: Du wurdest ganz ärgerlich, als ich einmal sagte, 
es sollten mehr Künstler im vollen Sinn des Wortes Handwerker werden. 
Es ist aber doch so; und ich dachte dabei speziell an Tuch(3) (daß ich 
nicht an Dich dachte, wirst Du mir hoffentlich glauben wollen). Was wird 
nun aus ihm? Es ist doch nicht wahrscheinlich, daß seine Persönlich-
keit stark genug ist, um sich in dem lauten Kampf wirklich Gehör ver-
schaffen zu können. Das ist mir ein ganz unsinniger Gedanke. Und 
Seite 3
dann bliebe lebenslang nur etwas übrig, das dumm drein schimpft 
und mit ganz verbitterter Genügsamkeit schließlich Zeichenlehrer oder 
sowas wird. Dabei hat der Mann doch Talente! Was könnte er 
für ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft werden, wenn 
er sich in einem Handwerk beschränkte und da etwas sehr tüchtiges 
leistete. Der Traum von der Freiheit des Individuums muß doch 
einmal für ihn zu Ende gehen. Ich komme mir nicht schlechter als 
Tuch vor und betreibe mein Handwerk eben auch. Dabei 
käme ich mir ganz ernstlich auch nicht einen Augenblick komisch vor 
in dem Gedanken, von morgen ab Silberschmied oder Malermeister zu 
sein. Das ist mir viel sympathischer und steht mir innerlich viel näher 
als das Treiben derer, die nach dem freien Künstlersein oder etwas 
ähnlichem ringen, obwohl sie bei der zu fordernden Ehrlichkeit sich selbst sagen müßten: Du bist nicht der Kerl dazu. Wenn Du als Freund einmal 
Tuch so etwas sagen könntest, so geschähe ihm gewiß ein großer Dienst. 
Seite 4
Hettner habe ich geschrieben. Nicht nur was ihm gefallen konnte, aber nur, 
was ich zu sagen für meine Pflicht hielt. Seine Arbeiten scheinen mir primi-
tiver als ich es erwartet hatte. Es ist auch schwer, seine Malereien der ver-
gangenen 10 Jahre in eine Linie zu bringen, und wenn es gelingt, so zeigt 
sich nicht immer, daß der folgende Zustand den vorangegangenen rechtfertigt. 
Trotzdem scheinen mir die neuesten Anfänge vielversprechend. Die Gefahr dieses Wegs, auf ihm zu einer leblos schematischen Idealisterei zu kommen, wird 
Hettners guter Geschmack sicher vermeiden. Und andererseits wird seine 
Natur, wie sie nun durch Anlage und Erziehungsgang feststeht, hier, wie 
ich überzeugt bin, den entsprechendsten Ausdruck finden können. Du weißt ja, 
wie sehr ich nach meiner ganzen Vergangenheit an Hettners Schicksal anteilnehme 
und Anteil nehmen muß, ich konnte deshalb die neuen Wandlungen in sei-
nem bürgerlichen und künstlerischen Dasein nicht ohne Commentar lassen. 
Geantwortet hat er mir noch nicht.
Wir beide grüßen Dich und Deine Frau herzlichst.
Immer Dein Hermann Schmitt