Transkription

Schleswig den 10. Aug. 47.
Lutherstr. 14

Sehr verehrter Meister, Herr Prof. Kolbe!

Meine schwierige Lage treibt mich, mit einer
Bitte zu Ihnen zu kommen.

Vorerst sage ich Ihnen meinen Bildungsgang
als freischaffender Bildhauer kurz auf, damit
Sie ein klares Bild über meine Lage bekommen
können, um dadurch mir besser helfen zu
können.

Ich besuchte die Kunstgewerbeschule in Hamburg
bei Herrn Prof. Luksch(1) 4 Jahre lang, darauf ein
Jahr die Akademie in München bei Prof. Kurz(2).
1916 – 1945 war ich in Berlin und zuletzt
1932 – 1945 in Kleinmachnow b/Berlin, wo ich
ein Haus mit Bildhauer-Atelier + Garten habe,
als ein freischaffender Bildhauer tätig gewesen
u. bin Mitglied des Vereins Berliner Künstler(3).
Infolge der Kriegseinwirkung u. meiner Gehör-
losigkeit (auch meine Frau gehörlos) mussten
wir aus schwerwiegenden Gründen unseren
Wohnsitz in Kleinmachnow nach hierher flüchten.
Dadurch mussten wir unser Hab und Gut
verlieren u. wurden wir total ausgeplündert,
indem unserem Hause u. Atelier, die noch stehen,
Fenster Thüren, Fussbodenhölzer und Inhalt
fehlen, die alle gestohlen wurden.

Vor 4 Wochen fuhr ich mit Interzonenpass
nach Berlin, blieb dort 3 Wochen lang, um
den Neuaufbau gangbar zu machen, Materialien
zu beschaffen, da ich den festen Willen habe,
im zeitigen Frühjahr 1948 für immer zurück-
zukehren, um meine Berufstätigkeit als
freischaffender Bildhauer dort wieder aufzu-
nehmen, z. Zweck ich Sie um wohlwollende
Unterstützung bitten möchte, da ich
empfinde, dass mein Aufbauplan durch Ihren
Einfluss gelingen könn[t]e.

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Um meine Berufstätigkeit ausüben zu können,
habe ich mich dort während meiner dortigen An-
wesendheit beim Kulturamt in Mahlow registrieren
und anerkennen lassen, wozu ich Fotos meiner
Arbeiten und eine politische Unbedenklichkeits-
bescheinigung beigefügt habe, zu Begutachtung durch
Herrn Oberregierungsrat Heisig in Potsdam, wobei
ich als Referenzen Sie genannt habe.

Dabei sind einige politische Schwierigkeiten zu über-
winden. Nämlich war ich 1932 – 1935 Mitglied der
Partei gewesen, und zwar unter der damaligen
Zwangslage. Mein Grossvater war Volljude, aber
demnach bin ich ein 1/4 Jude. Da ich s. Zt.[seinerzeit] laut
Hitler-Judenprogra[m] befürchten muß{t}, trat ich
auf Anraten meiner Verwandten u. Bekannten als
Mitglied in die Partei ein und wurde im Jahre
1935 nach Einreichung des arischen Nachweises aus
der Partei ausgeschlossen. Während dieser Zeit habe
ich niemals für die Partei gearbeitet, auch keine
Parteiämter inne gehabt und mich infolge meiner
Taubheit an den Kriegen nicht beteiligt. Ich blieb
nur freischaffender Bildhauer u. habe nur Tier-
plastiken ohne politische Beziehungen geschaffen.

Ich weiß nicht, ob Ihnen meine Tierplastiken
bekannt sind, z. B. der überlebensgroße Hirsch
in Lüdenscheid, wo auch Ihre Plastik, der Wächter(4)
m/ Bogen in der Hand, stand, u. die beiden
Hirsche in Karinhall(5). Wie es Ihnen erinnerlich
sein dürfte, hatten Sie in der Klagesache gegen
den Ofenfabrikanten Blumenfeld(6) meine Intere-
ssen vertreten, es geschah vor dem I. Weltkrieg.

Nun habe ich Sie, verehrter Meister, ins Bild
gesetzt über meine schwierige Lage, die ich mit
Ihrer Hilfe zu meistern hoffe. Z. Zweck bitte
ich Sie freundlichst um Zusendung Ihres
Befürwortungsschreibens (Gutachtens), um
auf diese Weise vorkommende Schwierigkeiten,
die sich gegen meinen Aufbauwillen und
gegen die Materialknappheit beschaffung ent-
gegenstellen, zu überwinden.

In fester Hoffnung auf Ihre wohlwollende
Hilfe begrüsse ich Sie

Ihr ergebener
Harry Christlieb

Anmerkungen

  1. Luksch, Richard (23.1.1872, Wien – 21.4.1936, Hamburg), Bildhauer. Bis 1905 Mitglied der Wiener Secession, Arbeiten fü die Wiener Werkstätten, ab 1907 Professor an der Kunstgewerbeschule Hamburg

    http://d-nb.info/gnd/118575244
  2. Kurz, Erwin (13.4.1857, Stuttgart – 12.10.1931, München), Bildhauer. Professor an der Akademie der Bildenden Künste München 1909 – 1924

    http://d-nb.info/gnd/116625481
  3. Verein Berliner Künstler (VBK), Verein in Berlin ansässiger und arbeitender bildender Künstler, 1841 von Johann Gottfried Schadow gegründet.

    https://d-nb.info/gnd/2065776-6
  4. Werk Georg Kolbes, „Wächter‟, 1937

  5. Carinhall, ab 1933 erbautes Repräsentations-Anwesen Hermann Görings in der Schorfheide in Brandenburg, in dem auch seine private Kunstsammlung untergebracht war. Benannt nach Görings erster Ehefrau. Das Anwesen ließ er im April 1945 durch Fliegerbomben spengen.

    http://d-nb.info/gnd/4494036-1
  6. Richard Blumenfeld (22.12.1863, Berlin – 25.8.1943, Berlin-Frohnau), Direktor der Richard Blumenfeld Veltener Ofenfabrik AG.

    http://d-nb.info/gnd/1050940679