Inhaltsangabe
Transkription
Leipzig am 29./11.1903
Lieber Freund, wir danken Dir 
bestens für Deinen letzten Brief und 
hoffen, daß Alles so bleiben möge. 
Halten wir die Idee fest, daß Ihr 
beide nächsten Sommer dahin kommt, 
wo wir wohnen werden. Möchte es doch 
in Italien sein! Doch wo uns das 
Schicksal zusammenführen will, 
sollen wir doch schon froh sein, d wenn 
es uns {überhaupt} einander entgegen bringt. 
Wann und wie lange kannst Du 
wohl Urlaub im Sommer haben? 
Bei uns ist freilich Alles sehr unbestimmt, 
und die Erfüllung unserer Wünsche 
liegt in so großer Entfernung. 
Hier will ich abbrechen, das steht fest – 
natürlich darf ich mir den Rückzug ui nicht unmöglich machen. 
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Wie Du über die Schrift denkst, ist mir 
sehr genehm. Ich hoffe, Dir in einer 
Woche eine Aufnahme vom Gyps des 
Bach(1) senden zu können, auch den 
Giovanni(2) sollst Du bekommen. 
Leider bin ich nicht imstande, Dir 
eine Abbildung des „Sommer-
tags“ zu verschaffen. Seemann(3) 
hatte 4 Blätter und sandte sie alle 
weg nach dem an die ausländischen 
Verleger, sodaß ich selbst noch nicht 
einmal gesehen habe, wie die Auf-
nahme ausgefallen ist. Vielleicht, daß 
Dir Jonas & Römmler(4) eine solche 
überlassen könnte, falls er selbst 
noch eine besitzt? 
Vom Faust(5) kann selbstverständlich 
ein Blatt mitgebracht werden und wir 
sind uns doch nicht im Zweifel, welches 
das sein wird? 
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Vielleicht legst Du mir den Aufsatz 
auf den Weihnachtstisch? Das ist doch 
wohl genügend Zeit; Seemann 
ist nicht mehr zu bestimmen, bis ich 
ihm die Sache vorlege – das kennst 
Du ja. 
Nun Tuch(6)! Ach ja, der ist wieder da, und 
ich möchte da ein besonders Wort mit 
Dir reden. Dem armen Freund geht 
es recht schlecht, er hat einfach nichts und 
auch gar keine Aussichten. Hirzel(7) 
läßt ihn raffiniert sitzen; seine die 
Arbeiten werden hier niemand 
gefallen; es ist sehr mißlich. 
Nun möchte Tuch natürlich gern mit 
fort von Leipzig, denn er fühlt wohl, 
daß er hier nicht emporkommen kann. 
Aber er wird sich durch Brotarbeit aufrecht 
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erhalten müssen und muß froh sein, 
wenn er die bekommen wird. 
Vorläufig hat er sie noch nicht und 
steht ohne jedes Geld da, von dem 
Hettner(8)‘schen Porträt bleibt ihm nichts, 
denn er hat noch viel Schulden zu 
decken. Kannst Du ihm garnichts 
verschaffen? Vielleicht, daß jemand 
aus Deiner Verwandtschaft oder Bekannten-
kreis sich malen ließe? Bitte, bemühe 
Dich doch. Tuch ist es wert, er hat niemand 
als uns. Ich selbst freute mich, ihm 
gestern ein Ex Libris für 150 Mark 
übertragen zu können; obwohl ich es 
auch nötig hätte, so braucht er’s doch noch 
10mal nötiger. Mehr kann ich aber 
nicht thun. Du bist natürlich vollkommen 
frei, Tuch(6) weiß nichts davon; aber vielleicht 
ließe sich doch noch ein Weihnachtsbild 
erzielen? – Gesundheitlich geht es uns recht 
gut, und wir grüßen Euch in froher Hoffnung 
auf baldiges Wiedersehen 
immer Dein Kolbe.