Inhaltsangabe
Transkription
am 9./9.1903
Mein lieber Freund!
Laß Dich nicht vo vom Gewissen plagen
wegen der Schreiberei, denn ich verstehe
sehr gut, daß sich selten eine freies Stündchen
findet. Weißt Du, Lieber, aber los lasse
ich dich nicht wieder; es wird schon bald einmal
Zeit kommen, die Du für mich verwenden
kannst und dann setze Dich bitte hin
und schreibe einige Zeilen. Es ist ja noch
längst kein Termin bestimmt, wann
etwas erscheinen soll; überhaupt sind diese
Verleger-Onkels langweilige Kerle,
aber gerade deshalb muß ich selbst einheizen,
sonst gerät alles in Vergessenheit.
Und mit einem Schriftchen in der Hand
(dasselbe ja braucht ja noch nicht abgeschlossen
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zu sein) kann ich die Leute besser zum
Worthalten zwingen. Du verstehst
ja auch, es soll nicht ein neuer
Künstler verkündigt werden – nein, Gott
schütze uns – Deine Worte sollen ja nur
eine vernünftige Begleitung zu den
reproducirten Sachen etc. sein.
Was Du besprechen willst, liegt ja auch
ganz in Deiner Hand. –
Augenblicklich bin ich sehr müde – wir haben
schlaflose Nächte, und besonders meine Frau
ist sehr ruinirt, da Leonore krank ist
und mörderlich schreit. Ich hoffe aber, daß
wir über den Berg sind, es werden freilich
noch manche solcher zu bestehen sein –
In meiner Werkstatt steht jetzt eine
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Bach-Büste(1) in doppelter Lebensgröße; sie
soll bis Ende des Jahres in Marmor
gemeis[s]elt werden und reist mit
einem Liszt(2) und Wagner(3) von Klinger(4)
u. einem Schumann(5) v. Hartmann(6)
nach Saint Louis 1904. Leipzig
stellt ein Musikzimmer dort aus.
Zunächst erhalten wir nichts als
die Auslagen etwas reichlich[?], bleiben
aber Besitzer der Büsten.
Ich bin aber doch froh, die Arbeit machen
zu können (die Geschichte ist nur Zufall,
da Seffner(7) den Bach nicht annahm).
Lieber Freund, weißt Du, wie gern ich von
Dir und Deiner Frau etwas höre?
Du solltest wenigstens öfter ein Wort
schreiben.
Ich grüße Euch beide herzlichst
Dein Kolbe.