Transkription

Lieber Schmitt!

Da Sie mir nicht sagen, ob Sie kommen
und ich garnicht weiß. wie ich rechnen soll,
sende ich noch ein paar Photographien
an Sie ab. Es wäre viel besser gewesen,
wenn Sie selbst zu uns gekommen
wären. Nach Ostern habe ich auch wenig
Hoffnung, Sie leicht zu sehen, denn
ich weiß schon, dann wird Alles bis
nach Pfingsten verschoben. Hirschfeld(1)
ist auch wie vom Erdboden verschwunden,
obwohl er noch Bücher bei mir hat; durch
ihn erfuhr ich ja immer von Ihnen.
Nach Ostern komme ich vielleicht selbst
einmal nach Dresden, weil ich dort
mit ausstelle. Die große (beiliegende)
Gypsfigur und das größere meiner
Temperabilder sind eingeladen.

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Mir ist es lieb, daß ich die Sachen
dort noch einmal und besser zeigen
kann, denn hier ist mein Plan
ganz zersplittert worden. Mit Mühe und
Not brachte ich die Malereien an
die Wand, aber auch nicht nebeneinander
wie beabsichtigt; eine Woche darauf
durfte ich endlich auch kleinere
Plastiken mit aufstellen. Der Gesammt-
eindruck ist völlig verdorben.

Richter(2) steht bei einander. Solche
Philisterverhältnisse wie hier werden
selten in einer Stadt bestehen.

Das Beste muß ich noch hinzufügen:
Die große Figur(3) ist zurückgewiesen; wird
also einfach nicht ausgestellt, sondern
wieder in die Reisekiste verpackt.

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Wäre das nicht allzu traurig, ich müßte
herzlich lachen. Nach Dresden bekomme
ich ohne weiteres eine Aufforderung,
und hier steht das Ding schon im
Museum und erregt Anstoß.

Es haben viele mit hereingeredet,
aber Alle diese für mich gesprochen,
ich selbst bestand die größten Geduld-
proben und wandte mich unausgesetzt
mit dringenden Bitten an die
Machthaber, jedoch länger hielt ich’s
nicht aus.

Doch hier will ich gleich Schluß machen, damit
ich nicht am Ende noch schimpfe. Wenn
Sie glauben, daß ich nichts vertrage oder
meine Angelegenheiten nicht vertreten kann,
so ahnen Sie wirklich nicht, was ich zu erleben

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habe.

Leben Sie wohl, lieber Freund, und
lassen Sie mich bald ein Wort
hören. Es grüßt Sie herzlichst
Ihr Kolbe.

Anmerkungen

  1. Hirschfeld, Werner (28.2.1882, Königsberg – 1914, gefallen), Dr. phil., Kunsthistoriker, aus dem Freundeskreis Georg Kolbes

     http://d-nb.info/gnd/116914343
  2. Richter, Guido Paul (18.3.1859, Dresden – 1941, ebd.), Maler, von 1901-1924 Lehrer am Königlich Sächsischen Kadettenkorps in Dresden, Leiter der 1896 gegründeten Alten Dresdner Kunstschule für Damen und Herren

    http://d-nb.info/gnd/136393314
  3. Werk Georg Kolbes, Liegende, 1903, Gips