Inhaltsangabe
Transkription
Berlin-W. am 16./ V 06
Lieber Freund,
sei mit Deiner Frau und
Deinem Kind herzlichst von
uns gegrüßt. Seit 5 Wochen
sind wir in Berlin und treiben
uns in der Pension herum –
gottlob nur noch bis Sonnabend.
Diese lange Zeit haben wir das
sehr aufreibende Geschäft des
Wohnungssuchens fast bis zuletzt
gänzlich erfolglos betrieben, und
zwar verdoppelte sich die Last, da
absolut kein Bildhaueratelier
frei ist. Für wie ungeschickt wirst
Du mich erklären! Nicht einmal
ein Atelier?
Ja mein Lieber – aber es war doch
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nichts! Nun sitze ich provisorisch
in Halensee, bis ich zum Herbst
nicht weit von der Potsdamer-
brücke ein, wenn auch nicht
sehr gutes, Atelier beziehen kann.
Da kann darf ich immer noch sehr
zufrieden sein.
Vorige Woche aber entdeckten
wir eine ganz famose Wohnung
mitten im Thiergartenviertel,
Regentenstr. 20. – Dort werden
wir so großartig wohnen wie noch
nie bisher. Mitten in der Stadt und
doch im Grünen. Wir sind sehr
glücklich jetzt, und Sonnabend
ist Einzug. Ihr müßt dann
wirklich bald kommen, uns
zu besuchen – Vielleicht fühlt
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Ihr euch jetzt nur in dem kleinen
Ort wohl und haßt die Großstadt?
Schön wird es gewiß bei Euch sein
und viel mehr Freiheit.
Geht es Euch gut? Die nähere Beschreibung
Eures neuen Aufenthaltes
steht ja auch noch aus. Du schriebst
mir in Deinem letzten Briefe nur,
daß Ihr eben umgezogen wärt
und daß wir in Italien bleiben
sollten. Ich verstehe nicht recht, warum
die „Son sieghafte Sonne” so
großen Einfluß haben soll. Offen
gestanden, mir ist es sehr gleichgültig,
wo ich bin, und ich wäre nur wegen
den Meinen dort geblieben, aber
mein Gott – in diesem Sinn
hätte ich wie nichts fortgekonnt.
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Hettner(1) zeigte uns kurz vor
unserer Abreise seine Villa, welche
wirklich schön gelungen ist, aber ich
hatte nicht den geringsten Wunsch,
dort bleiben zu wollen – nicht wenn
ich völlig kostenlos das Haus
bekommen hätte. Hettner
paßt sehr gut nach Italien, ich besser
hierher.
Alles aus einem Grund bin ich direkt
sehr zufrieden, daß wir zurück sind,
ich merkte sofort, daß mir die Ab-
wesenheit nicht genutzt hatte –
die Affaire mit Lingner(2) habe ich
wieder eingerenkt. Er zeigte
wenig Lust, und da fuhr ich nach
Dresden. Das war das Einzige.
Nun hat er eine Bachbüste(3) und
auch einen Beethoven(4) bestellt,
die ich diesen Sommer klopfen
will.
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Aber wirklich, er war verschnupft,
und nicht, weil ich unklug in
der Behandlung verfahren war,
wie Du anzunehmen scheinst,
sondern er ist in allen Dingen da (sein Geschäft wohl ausgenom-
men) sehr oberflächlich, wenigstens
hört er nur halb, und so war ihm
die Affäre mit der Büste absolut
unklar. Ich mußte eben persönlich
da sein und konnte das nur,
wenn ich Florenz opferte. Also
nun ist’s wieder gut. Hoffentlich
wartet noch mehr im Hintergrunde.
Zu Euch konnte ich leider nicht
mit kommen, ich war nur
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½ Tag in Dr.[Dresden] und eine einzige
Stunde in Loschwitz.
Aber ich möchte Dich schon sehr
gern einmal wiedersehen, das
glaube mir. Kommst Du
nicht einmal? Wann hast
Du Urlaub?
Tuch(5) ist jetzt auch hier, er malt
draußen am Wannsee.
Das Geschäft geht schlecht.
Sonderbarerweise ist dieses
Jahr das Interesse in Berlin
wirklich gering. Die Ausstel-
lung der Sezession ist
gut, vielleicht besser als sonst,
und doch spricht kein Mensch
davon, und niemand
kauft. Ich selbst habe gar keinen
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Erfolg; meine beiden Figuren
aus Florenz sind ausgestellt,
und ich halte sie für einen
Fortschritt. Cassirer(6) hat andere
Sachen im Kopf und schwätzt
keinem etwas auf. Vielleicht
bringt Weimar etwas,
habe Bronzen dort.
Wollen wir uns einmal dort
treffen, das wäre eine ganz
gute Idee; natürlich nach Eröffnung
im Juni?
Diesen Sommer wollen
wir, mit Ausnahme mehrerer
Tage in Waldheim, hier bleiben.
Ich muß Geld verdienen, und
wir wünschen auch, sehr ruhig
in unserer schönen Wohnung
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zu sitzen, und in dieser Wohnung
ist der Sommer recht gut
zu verbringen.
Laß bald etwas von Euch hören,
lieber Freund!
Grüße Frau und Kind.
Die Meinen schließen sich mir
an
Immer Dein
Georg Kolbe