Inhaltsangabe
Transkription
Florenz am 23./II 06.
Lieber Freund!
Habe recht vielen Dank für Deinen 
Brief und die skizzierte Antwort, 
die ich ziemlich wörtlich abschrieb. 
Ich fand sie sehr gut und hätte sie 
unmöglich verbessern können. 
Heute, nein gestern schon, erhielt ich 
amtlichen Brief, dass man sich in L.[Leipzig] 
zum Ankauf entschlossen habe; 
indeß, man wollte mir keinen 
Zwang auferlegen und mir deshalb 
trotzdem bis 23. Febr., dem Schluß des 
Termines, gestatten, die Büste 
weiterzuverkaufen, natürlich mit 
Rückzahlung der 2000 M. 
Offenbar hat Graul(1) einen Unsinn 
auf dem Gewissen, indem er mit 
dem Rat damals einen etwas 
anders lautenden Vertrag als mit 
mir abschloß. Daher der Monat Unterschied. 
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Nun ist aber Schluss dieser Sache; ich 
erklärte mich sehr gern bereit zur 
Überlassung der Büste(2), und damit 
ist sie für Lingner(3) verloren. Wenn 
er noch eine andere Bachbüste 
haben will, mag er es sagen; ich 
schrieb ihm davon. – 
Nun kann sich unser Rede wieder 
etwas menschlichen Dingen zuwenden. 
Ich möchte Euch gern von unserem Dasein 
hier erzählen, wenn ich nicht genau 
wüßte, dass ich da doch noch falsche Vor-
stellungen in Euch erwecke. 
Benny(4) und Nora(5) sind recht glücklich 
hier, gehen täglich hinaus in die 
potere, dort giebt es herrliche Aussichten 
in’s Land und auf die Stadt. Jetzt 
blühen immer mehr von den schönen 
violetten und zinnoberroten Anne-
monen im Felde und täglich 
kommen auch Sträuße in’s Zimmer. 
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Haus und Wirtschaft sind jetzt auch in 
einem angenehmeren Zustand und 
gangbares Tempo gekommen, 
daß es Frau und Kind wirklich gut 
finden. Öfter fahren wir auch zu 
3 mit dem Esel unseres Hausverwalters 
spazieren. – Ich dagegen gehöre ja 
aber noch zur großen Hälfte meiner 
Arbeit, und da geht es schneckenartig. 
Wohl bin ich ganz fleißig, habe auch 
Freude an der Arbeit, aber es ist, wenigstens 
in so kurzer Zeit, recht schwer, den rechten 
Standpunkt zu der sehr schönen alten 
Skulptur zu finden. Michelangelo(6) 
bewundere ich über alle Maßen und 
dann komme ich so klein und zag-
haft nach unserer sonderbaren Villa 
zurück – Begreifst Du, daß das nicht 
das rechte ist? Auch die vielen herrlichen 
Frühlingstage, an denen man sich 
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nur der Sonne aussetzen sollte, 
fördern die Arbeit nicht – Wie vieles 
möchte ich nicht sehen, in und um Florenz. 
Noch nichts ist aber geworden, die paar 
großen Sammlungen sah ich ja 
ein Mal. Bin ich nicht den ganzen 
Tag bei der Arbeit, das heißt, die wenigen 
Tagesstunden, so ist es besser, schon 
am Morgen zu bummeln. Auswärts 
zu gehen fehlt außer der Zeit auch noch 
das Geld. Ich habe schon eine recht an-
sehnliche Summe hier verbraucht. 
Von Leipzig kommt das Geld un-
regelmäßig, und ich habe nicht Lust, 
darauf zu warten. Werde mich jedenfalls 
sehr plötzlich einmal zur Abfahrt rüsten. 
In diesen Tagen bringe ich eine 
sehr kleine weibliche Figur(7) in 
griechischem Marmor fertig, sie soll 
gleich nach der Berliner Sezession gehen. 
Die Arbeit ist nicht schlecht, aber 
auch kein Fortschritt. Höchstens bringt sie 
Geld. 
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II
Nun habe ich noch einen Block Kalkstein 
da stehen, der sehr presto bearbeitet 
werden soll. 
Verstehe, daß die Arbeit aus manchen 
Gründen für mich das Einzige bleibt, 
schon für sich sehr unruhig, wenn ich 
nicht selbst thätig bin, mag ich auch 
nicht umherziehen, wo ich weiß, daß 
meine Frau mit Nora bleiben muß. 
Die Trödler und Antiquitäten Händler 
machten mir eine Zeit lang 
ganz ungeahntes Vergnügen. 
Wir suchten jede Straße und jeden 
Winkel ab, und so habe ich mir auch 
für wenig Geld recht feine Sachen 
angeschafft. Obenan steht ein kleiner 
antiker Torso für 70 Lire, der, ob nun 
von einem Originalmeister oder 
Meister ist im Copiren, doch eine hervor-
ragende skulpturale Leistung ist 
und mir sehr viel Vergnügen 
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bereitet. Manches Museum 
würde ihn zeigen können. – 
Sodann sind sehr hübsche kleine 
Bronzen, immer für wenige Lire, 
jetzt mein Eigentum. Auch 
einige Möbel kauften wir, und 
was möchte ich nicht alles für 
unsere künftige Wohnung in 
Berlin mitnehmen! –
Das hält schwer, auf dem rechten 
Wege zu bleiben – 
Im Hause hier, das heißt, in der Bewohner-
schaft ist’s noch beim Alten. 
R. Pietzsch(8) ist noch nicht da, wird 
aber seine reservierten Räume 
sicher beziehen. Auch für v. d. Velde(9) 
stehen die Zimmer fertig.
Hübner(10) malt viel und entpuppt sich 
als wohlerzogener, sehr biederer, aber 
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fleißiger Mann. Bei ihm schlägt 
Florenz am meisten an. 
Tuch(11) bringt verhältnismäßig weniger 
als ich zustande. Ist ein Frühvogel.
Mit Hettner(12)’s kommen wir nicht 
allzuviel zusammen. Es gefällt 
uns bei ihnen nicht. Der Grund ist 
der alte. Ich kann ihm nicht im 
geringsten nützen und er mir 
nicht. Er paßte am besten als 
Vorstand eines Verein’s deutscher 
Italien Freunde; in der That hat er 
auch einen großen Bekannten-
kreis gefunden, was Du am 
besten daraus ersehen kannst, 
daß er in seinen Räumen ein 
Musikerfest arrangieren will, zu 
dem 30–40 Personen außer uns 
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bedacht sind. Wir werden selbstredend 
(was bedeutet, die ganze Bewohnerschaft) 
nicht dahin gehen, abgesehen, daß wir 
Deutsche hier absolut warten wollen, 
sind wir froh, den Berliner Festen 
entgangen zu sein. Aber Hettner 
nimmt jede Absage immer übel 
auf, und wenn ich ihm den wahren 
Grund sagen würde, wäre ein 
Bruch nicht zu vermeiden. Und nimm 
es mir nicht übel, aber seine Arbeit ist 
mir nichts, wenigstens nichts 
einigermaßen Erfreuliches. Er thut 
übrigens nicht viel, seine Position 
als Künstler zu ändern, sondern reist 
nur die Umgegend nach Villen ab, 
die er alle halb mietet. Dabei gehen 
seine Ansprüche immer zu hoch – 
So, diese Worte über Hettner meinte ich, 
Dir auch schuldig zu sein. Aus dem ganzen 
Brief wirst Du sehen, wie wenig ich ### 
bin – Und sei auch nicht böse, daß ich nicht 
von uns schrieb. Mehr von Euch erwarten 
wir bald. Viel Herzliches an Euch von uns 
Dein Kolbe