Inhaltsangabe
Transkription
23. VI 13
Lieber Schmitt,
Ben(1) ist reif für die Sommerreise, 
ich selbst fühle mich auch nur 
noch wie ein kleiner Rest. Ben 
u. Nora(2) gehen am 1. Juli weg, ich 
einige Wochen später. Der Heine(3) 
ist zunächst einmal aufgebaut, vielleicht 
dass ich die ganze Gruppe vor der 
Reise noch einmal neu modelliren 
muss, der Maßstab ist noch nicht 
festgestellt, weil der Platz noch immer 
nicht bestimmt wurde. Aber diese 
erste Gruppe jetzt, in Lebensgrösse, 
ist doch ein grosses Stück über den 
kleinen Entwurf hinaus gelungen. 
Photos kann Schnorr(4) nicht machen, 
das Licht ist in meinem grossen 
Atelier zu schlecht – kann kaum 
arbeiten in solchem Maßstab. 
Denke wieder stark an einen 
eigenen Atelierbau -– Das Buch bei 
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Cassirer(5) soll noch vor meiner 
Reise fertig werden, allerdings erst 
im Herbst zur Ausgabe gelangen. 
Es hat noch so viele Mühe gekostet 
u. ist am Ende doch eine verfehlte 
Sache. Du wirst diese Bauchkrampf-
stimmung noch im Gedächtnis 
haben, als wir das Vorwort bauten. 
Es ist nun bitter bescheiden geworden.
Ich lege Dir hier auch die ärmlichen 
Sätze bei, von denen wir sprachen. 
Der Anfang ist gestrichen worden, 
weil er ein Lob auf das Unternehmen 
enthielt – Sei milde! 
Dass die Sezession für mich und 
so viele Andere vorbei ist, berührt 
mich wohltuend. Wohl haben wir 
nichts dafür eingetauscht als eben 
die Freiheit – aber schliesslich wird 
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mal eine neue Sache entstehen, 
die mindestens nicht schlechter 
zu werden braucht. Es wird aber 
bisher noch nicht ernsthaft geplant, 
wenn man nicht eben Hettner(6)s 
Bemühungen so nennen will. Er 
versucht, den versprochenen Herbst-
salon mit der damals angekündigten 
Herbstjury der alten Sezession 
zu verwirklichen. Es dürfte kaum 
gelingen – und zwar vielleicht nur, 
weil die faule Sommerstimmung 
auf all unseren armen Köpfchen 
lastet – 
Eben klingelte Hettner am Telefon. 
Jeanne u. Roland(7) sind irgendwie 
vergiftet. Cassirer hatte ihn heute 
in längerer Audienz empfangen. 
Von Dir sprechend bat mich Hettner, 
Dir mit zu schreiben, dass es weder 
Bummelei noch böser Wille sei, 
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Dich ohne Antwort zu lassen - schliesslich 
habest Du selbst im gleichen Briefe 
erwähnt, dass es gar keine Antwort 
darauf gäbe. Hettner(6) sagt, es sei jetzt alles 
so wunderschön, ich solle Dich sehr 
grüssen, u. er hoffe, von Dir einen guten 
Brief allgemeinen Inhalts zu 
bekommen. 
Ben schläft schon – sie dankt 
Dir vielmals für den letzten Brief, 
sagt, dass es ihr jetzt unmöglich 
sei, einen Brief zu bauen. Sie hat 
natürlich viel Arbeit für die Reise. 
Jetzt liest sie Leloy. Claudel habe 
ich auch gelesen, wir taten es beide 
mit einem gewissen Genusse, bis 
eben jene etwas blutleeren 
Erscheinungen gegen das Ende 
die Stimmung abflauen. 
Leb wohl. Grüsse Frau u. Jungen 
bestens von uns 
Stets Dein Kolbe
 
                     
                     
                    