Inhaltsangabe
Transkription
Berlin-Wilmersdorf 
Preussischestr. 7 
Am 7./VIII 04
Lieber Freund,
wie Du siehst, sind wir bereits wieder 
in Berlin, wo mich auch der freundliche 
Brief Deiner Frau erreichte, für welchen 
ich Dich bitte, meinen herzlichsten Dank 
zu überbringen. Alles Nähere über 
die vergangenen Wochen, alle Möglichkeiten 
und Unmöglichkeiten wird, denke ich, meine 
Frau in einem beiliegendem Brief 
berichten, sodaß ich mir diese Sachen schenken 
kann. Wir bedauern recht sehr, daß wir 
uns nun diesen Sommer nicht gesehen haben. 
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Von Waldheim mußte ich plötzlich 
zurück, weil Derleth(1) auf Richters(2) Veran-
lassung hier erschienen war, damit 
ich ihn modellieren sollte [Derleth-Büste(3)]. Ich dachte, den 
Mann nie wieder zu sehen, da er 
für mich ausschließlich der Vergangenheit angehörte angehörte. Umsomehr 
war ich begierig, weil das Schicksal unsere 
Wege sich nun doch noch einmal kreuzen 
ließ. Richter schätzt Derleth sehr hoch und 
wollte gerade von mir, der ich ihn gut kenne, 
die Büste gearbeitet haben.
Derleth ist noch ganz wie vor 6 Jahren 
und berührte mich innerlich absolut nicht mehr. 
Er setzte sich willig und resigniert auf das 
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Podium und ich mußte eine fieberhafte 
Thätigkeit entwickeln, um aus all den 
Zuckungen und phrasenhaften Faxen 
das wirklich Schöne und auch bedeutende 
dieses Kopfes herauszuschälen. Nach der 
2. Sitzung sprang der sonderbare Mensch 
auf und brüllte: c’est fini! 
Mit Mühe kam er dann noch ein 
drittes Mal. Aber der Kopf ist doch gut 
gelungen, so wie ich es nicht dachte. 
Sobald eine Photographie fertig sein wird, 
sende ich sie Euch. 
Derleth war noch über eine Woche dann hier, 
ohne daß wir uns sahen. Ein Verkehr mit 
ihm ist absolut unerquicklich. Übrigens 
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wird ein Buch von ihm erscheinen, eben 
jene „Proklamationen von Ludwig Derleth“, 
dieselben, welche er auf der Einladung 
vergangenes Frühjahr verkündigte. 
So werden wir sie also doch erfahren.
Der sonderbare Mensch wird etwas geschrieben 
haben, was keiner verstehen kann. – 
Vorläufig bin ich arbeitslos, muß mich aber 
kommenden Winter bis auf’s Äußerste 
anstrengen, etwas fertig zu bringen; 
um mich bekannt zu machen. Das 
ist freilich ein häßliches Ziel, aber sonst 
kann ich mich länger nicht halten. 
Wohl bin ich gut empfohlen und freundlich 
aufgenommen. Aber alles Interesse 
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II
an Kunst ist fast ausschließlich negativ, 
und auch bei den gescheitesten Menschen 
fehlt es am klaren Sehen, an 
Umsicht. Sie verstehen ein Kunstwerk 
nur im Zusammenhang, also nur 
geschichtlich, nie aber als Eigending.
Das Hindernis am schnelleren Bekannt-
werden bei mir ist die Abneigung 
gegen kleine Arbeiten. Das ist aber im 
Talent begründet, und ein Ändern 
liegt nicht in meiner Macht.
Nun ist es aber auch garnicht gut, früh Aner-
kennung in unseren Kreisen zu erlangen, 
und ich selbst würde das absolut nicht wünschen, 
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wenn es sich nicht um das verfluchte Geld 
handelte, dem ich wieder und wieder 
nachlaufen muß. Aber auch hierzu findet 
man Trost genug im Schicksale so Vieler, 
und ich muß gestehen, daß mir meine 
Armut oft verdammt gleichgültig ist. Wie 
sollte es auch sonst anders gehen. Nur die 
Jahre thuen mir sehr leid, die jungen Jahre, 
die uns beiden entfliehen, ohne daß 
wir sehen und erleben können, was 
man sich eben durch Geld verschaffen kann. 
Meiner Frau und Nora(4) wünschte ich es 
so viel, viel besser. Trotzdem erfreuen wir 
drei uns aber sehr des Daseins. 
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Wie geht es nun Euch? Womit beschäftigst 
Du Dich, das heißt, was liest und denkst Du? 
Wir hören darüber wenig oder vielmehr 
garnichts. Ich habe ein sehr unbefriedigtes 
Gefühl diesem Punkt gegenüber. Unsere 
Freundschaft nutzt uns nur im kleinsten 
Theil und auch nur in der Idee, während 
wir doch so viel mehr Gewinn davon 
haben sollten. Wie viele schöne Stunden 
könnten wir zusammen verleben, 
wenn wir {uns} oft sehen könnten! 
Aber wirklich oft; wöchentlich müßte das sein. 
Und soll das nun nie anders werden? 
Ich ärgere mich sehr über alles, was zwischen 
uns liegt. 
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Wie geht es Deinem Bruder? Sage ihm 
nochmals unseren herzlichsten Dank für 
den „Carlyle(5)“, mit dem er uns wirklich 
eine große Freude gemacht hat. Wir lesen 
sehr eifrig darin. Ich habe auch ein gutes 
Bildchen von C. und freue mich täglich 
über den schönen, geistvollen Kopf.
Leb' wohl, lieber Freund, und grüße Deine 
Frau herzlichst von mir.
Immer Dein Gg. Kolbe