Transkription

Lieber Schmitt!

Daß ich vor Weihnacht nun nicht mehr nach
Dresden komme, brauche ich kaum
hervorzuheben. Ich hatte entschieden
zu hell gesehen, als ich den Besuch in Aussicht
stellte. Von meiner Familie hätte ich
mich nicht einen Tag trennen mögen, obwohl
alles recht gut geht. Mutter und Kind sind
gesund. Meine Frau ist aber jetzt so an
das Haus gebunden, daß ich jede freie Zeit
verwenden muß, ihr die Eintönigkeit
mit tragen zu helfen. In so ein Haus
gebannt zu sein, ist aber auch sehr wenig erfreulich.
Bei dieser Gelegenheit kann ich Ihnen aber freudig
mitteilen, daß wir hier Ostern eine zwar
bescheidene, aber recht angenehm gelegene
Wohnung gemietet haben. Sie
kennen vielleicht die alte kleine Kirche
in Connewitz in der Königstraße,

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derselben gegenüber sind schöne Garten-
grundstücke, und dort liegt ein Gärtchen,
welches wir mit noch einer Familie
teilen werden. Für meine Frau
und Kind wie auch für mich ist das
von großem Vorteil. Da giebt es
dann nun wenigstens Ruhe und
Natur, und das Ganze riecht nicht so
entsetzlich nach „Miete“.

Wir sehen nun etwas leichter dem Frühling
entgegen. Außerdem ist die neue
Wohnung um bald die Hälfte billiger.
Das ist sehr wohlthuend, denn meine
Einnahmen hier sind gleich Null.
Manches Wort liegt mir in der Kehle, aber
ich will es hinabwürgen.

In Dresden beteiligte ich mich bei der bewußten
Skulpturen-concurrenz der Akademie.
30 Werke wurden angekauft, wenn vielleicht

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auch kleine Gegenstände inbegriffen sind.
Doch kommen 20 Künstler in Betracht.
Ich bin leer ausgegangen. Sie entsinnen
sich des weiblichen Kopfes mit offenem Haar(1),
derselbe ist es, welchen ich einsandte. Wollen
Sie nicht überhaupt die Ausstellung ansehen?
Sie ist nur bis 24. Dez. noch. Ich würde mich
interessieren, Ihr Urteil zu hören.

Hier in Leipzig ist meine andere Skulpturen-
concurrenz im Gange – für Monumente
und Brunnen etc. Die Sache geht aber
auch schief, sie wurde blöd angefaßt.
Keiner wußte recht, was man wollte,
und nun giebt es noch nichteinmal eine
Jury. Die Zustände sind hier eben noch
sehr großmütterlich.

Nun gut, ich muß noch meine Ausstellung
abwarten; das wird aber mein letzter
Atemzug aus eigener Tasche.

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Der liebe Weihnachtsmann in Gestalt der
Fürstin Oettingen(2) hat mich wieder mit
einem Buch geschenkt [sic], eines nicht minder-
würdigen Autor's als sonst.
Ihr Freund aus jüngster Zeit, Henry Thode(3),
hat einen „Michelangelo“ geschrieben.
Sie kennen mein Glück, mit solchen
Büchern versorgt zu werden.

Haben Sie noch herzlichen Dank für die
Chaiselongue! Denken Sie, daß ich
je eher je lieber zu Ihnen komme.
Grüßen Sie Ihre Frau schön von mir und
nehmen Sie meine Hand.

In treuer Freundschaft
immer Ihr Kolbe.

Anmerkungen

  1. Werk Georg Kolbes, „Leiden‟, 1902, verschollen

  2. Maria Fürstin zu Oettingen-Wallerstein, Person im Umkreis Kolbes, ohne weitere Angabe

  3. Thode, Henry (Heinrich, 13.1.1857, Dresden – 19.11.1920, Kopenhagen), Kunsthistoriker, 1889 – 1891 Direktor des Städelschen Kunstinstituts Frankfurt a. M., Professor an der Universität Heidelberg

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