Transkription

(Prof. Dr. h. c. Georg Kolbe, Berlin-Charlottenburg 9, Sensburger Allee 25, Fernruf: 99 49 28) 97 49 28

2.X 46

Mein lieber Freund Lemperle,

es ist schon viel, wenn Sie mir von Zeit zu
zeit mal einen so ausführlichen Bericht geben
wie den letzten. Sie sollen also keine Gewissens-
bisse haben. Ausserdem geschieht in diesen Zeiten
so wenig – hier wie dort, was besonders erwähnens-
wert wäre. Haben Sie schönen Dank – besonders
auch für die 8 M. Büchsen u. das zweite Päckchen
Nährmittel – die gleichzeitig eintrafen. Das sind
schöner Zusatz zur Karte. – Ich habe mich dank
so mancher ähnlichen Spende ganz gut wieder
erholt, sodass ich gelassen das kommende
Winterhalbjahr erwarte. Einen Teil Futter für die
Zentralheizung habe ich auch schon. Leider ging

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II

(Prof. Dr. h. c. Georg Kolbe, Berlin-Charlottenburg 9, Sensburger Allee 25, Fernruf 99 49 28)

(9.1.45)
(z.Zt.)

der Sommer vorbei, ohne der Werkstatt Ruhm
gebracht zu haben. Das Atelier ist ohne Oberlicht
kaum zu gebrauchen. Nun habe ich die kleine zer-
störte Atelierwohnung wieder aufgebaut (man frage nicht,
unter welchen Quälereien), ein Ofen wird noch gesetzt,

sodass ich die Winterzeit werde besser verwenden
können. Hoffe ich! Es fehlt aber noch viel an
wirklicher Konzentration. Gern hätte ich mal ein
paar Fotos der letzten kleinen Dinge gesandt – aber
mit der Herstellung solcher Bilder liegt es noch im
Argen. Kein Material und enorme Preise
u. Unzuverlässigkeit! Wie halt in allen Dingen.

Meine Augen sind sehr sehr schlecht, ich
sehne die Zeit der Operation herbei, muss aber

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sicher noch ein gutes Jahr warten. So entgeht
mir Vieles. Vorträge, Empfänge, Auss[t]ellungen –
alles muss ich meiden. So ist es schon etwas
einsam jetzt. Im Dunkeln kann ich nicht
mehr aus dem Hause gehen, kann nur
freundliche Menschen bei mir empfangen.
Jedoch, es gibt schlimmere Schicksale.

Frankfurt erwartet dringend den Guss des
Beeth. D.(1) [Beethoven-Denkmals] zu haben. Neuerdings sind die Ameri-
kaner eingeschaltet, die sind freundlich einge-
stellt. – Am ärgsten empfinde ich das
Fehlen alter Freunde. Wie sind wir doch
alle auseinander gerissen! und auf wie lange
noch? Einmal muss es aber doch wieder werden.

Ich drücke Ihnen von Herzen die Hand
und grüsse Sie mit Frau u. Kinderschar
als Ihr alter getreuer GK

Anmerkungen

  1. Werk Georg Kolbes, Beethoven-Denkmal für Frankfurt am Main, Bronze, eingeweiht 1951