Inhaltsangabe
Zu Greiner und seiner Rolle als Kolbes Lehrer. Zu einem Treffen mit einer Comtesse de Bearn aus Paris und dem Verkauf von Zeichnungen an sie. Zu Gräfin Zichy und Fürstin zu Oettingen-Wallerstein.
Transkription
Rom, Freitag am 30./3. 99.
54 via Margutta
Lieber Graf!
Einen schönen Ostergruß, der freilich
erst nach Ostern zu Ihnen kommen
wird, möchte ich Ihnen senden und Einiges
von mir erzählen. Mir geht es in der
That immer gut. Ich habe einen schönen
Brief von der Fr. Fürstin z. Oettingen-W.(1)[Wallerstein]
erhalten mit der Aufforderung, etliche
Arbeiten sehen zu lassen, was mir sehr
viel Vergnügen bereitet. Freilich wäre es
mir lieb gewesen, wenn ich keine Arbeit
aus den Händen zu geben brauchte, als bis
Sie sich, lieber Graf, das Ihre gewählt hätten;
aber was soll ich hier thun? Wenn in München
etwas gefällt, ist es doch auch nicht angängig,
es als unverkäuflich zu bezeichnen, denn der
Fürstin möchte ich nicht den geringsten Wunsch
abschlagen. Aber ich hoffe doch, daß noch Manches
in diesem Jahre von mir gearbeitet wird,
und würde es {sich} darunter nichts Geeignetes finden,
so bleibt Ihnen ja noch, was ich späterhin zeichne.
Vor wenig Wochen hatte ich auch das Vergnügen,
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die Bekanntschaft einer sehr feinen Dame
zu machen, der Comtesse de Bearn(2)
aus Paris, welche von Frau Gräfin Zichy(3)
meinen Namen bekommen hatte.
Ich schickte Zeichnungen in’s Hotel und
am nächsten Tage besuchte ich die Comtesse selbst,
wobei ich ein fatales Zeugnis meiner
französischen Sprache lieferte ablegte; das war
peinlich, aber die 2 Compositionen aus Paris,
„Petrus“ und „Judas“, habe ich doch dort gelassen,
und die Dame wünschte auch noch eine Zeichnung
„Poseidon’s nächtliche Fahrt“, welches ich der Frau
Gräfin Zichy beschrieben hatte. Selbiges war in
Waldheim, ist aber jetzt auf dem Wege nach Paris.
Kennen Sie die Comtesse de Bearn?
Lieber Graf, ich bin jetzt eifrig auf Steinplatten
tätig, freilich noch als Lehrling. Die Sache
verlangt viele Praxis, doch geht es noch besser,
als ich glaubte. Zwei Arbeiten sind beendet,
aber es war eben nur eine Probe. Einmal
habe ich mit Kreide gezeichnet, das andere ist
mit zwei Platten, Tuff u. Kreide.
Jetzt, nach Ostern, wird es nun offiziell losgehen.
Ich habe Studien gemacht, 8 oder 14 Tage Akte
und mit aller Sorgfalt, die mir zu Gebote steht,
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trete ich nun feierlich an den Stein heran.
Sie sollen dann sofort den ersten Druck haben.
Ich würde mich kindlich freuen, wenn es gut würde.
Greiner(4) ist natürlich als alter Steinvirtuos
ein vortrefflicher Lehrer.
Da ich aber eben von diesem Mann spreche,
so muß ich auch erwähnen, daß es ihm garnicht
gut geht. Er hängt den Kopf ganz hoffnungslos,
und all sein bißchen Witz ist jetzt nur noch
Galgenhumor. Er thut mir sehr leid. Ich kann
auch nicht gut sagen, was ihm ist. Wohl ahne
ich Vieles, aber ich mag im Brief nicht davon
sprechen.
Wenn es Sie interessiert, was Greiner von mir
sagt, so kann ich hier einige Worte von ihm anführen,
die mir durch meine Eltern hinterbracht sind.
Greiner kennt einen Fabrikbesitzer bei in meiner
Heimat, und dem schrieb er: Jetzt ist ein junger
Waldheimer hier, Georg Kolbe, der sehr fleißig ist
und aus dem was werden kann; er zeichnet sehr gut,
empfindet gut, er ist noch sehr jung.
Inwieweit die Sache stimmt, wissen Sie ja selbst.
Jedenfalls ist es aber {immer} sehr aufrichtig, was Greiner sonst
sagt.
Lieber Graf, wenn man arbeitet, hat man schlimme
Stunden. Wie unwert und klein sieht man sich.
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Die Berge werden ist immer höher und steiler
und die Kraft scheint zu klein. Wie lustig
und mutig wandert man auf das Gebirge
zu, man schätzt und ratet, wie weit es wohl
noch sei, und mit frischer Brust steigt man
die Anhöhe ersten Anhöhen hinauf. Dann aber
wird es schwerer und schwerer, und nur mit
halbem Bewußtsein wie im schweren Traum
läuft man nach vorn, ohne rechtes Wissen
im wilden Drang. Und wer den Gipfel
erreicht, erreicht ihn mit starren Gliedern
und fremdem Gesicht.
Manchen Berg sieht man dann wohl noch
um sich höher in die Wolken reichen.
Ja, es gab noch größere Steiger!
Das ganze Klettern ist ein Fluch
für die Menschheit, aber ein Gutes ist
dabei:
Es bleibt keine Zeit zum Denken!
Der Schaffende fällt nicht in den tiefen
finsteren Brunnen der bitteren Erkenntnis.
Ihr Georg Kolbe.
Rom.