Transkription

Lieber Herr Kolbe!
Durch außerordentlich viele Zeit und
Kraft in Anspruch nehmende Dinge
abgehalten, komme ich erst jetzt hier
dazu, Ihnen zu schreiben, während ich
Ihnen bei meiner Durchreise durch Berlin
die Zeichnungen zurückschickte, welche Sie
als Vorschläge für die Brunnenfigur(1)
einsandten. Zugleich erlaubte ich mir,
Ihnen einen kleinen Vorschuß zu machen,
da ich mir dachte, Sie würden für weitere
und genauere, vielleicht plastische Ent-
würfe Modellkosten und andere Auslagen
haben; ich hoffe, Sie nehmen mir dies nicht
übel, da es ausschließlich darum geschah,
um Ihnen die Vorarbeiten zu erleichtern.

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Nun lassen Sie mich zum eigentlichen
Thema, der Besprechung der Aufgaben
selbst übergehen: Von vornherein muß ich
Ihnen sagen, daß ich in dem sehr kleinen
Garten und Wasserbassin eine lebens-
große Figur für nicht ganz proportioniert
ansehe, ich würde denken, daß die Größe von
1,40 oder höchstens 1,45 mtr das richtige sein
würde. Daß Sie sich eine weibliche Figur
fast ohne alle Zuthat denken, entspricht
auch nicht ganz meiner Auffassung der
Aufgabe, da eine solche Figur nur dann
mit der Umgebung (Barock- oder Spät-
renaissance-Architektur) sehr schwer in
Einklang zu bringen sein würde. Eine
einzelstehende weibliche Figur könnte
doch nur durch die größte classische
Schönheit wirken, während mir Ihre nach

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dem lebenden Modell gemachten Zeich-
nungen, wie dies selbstverständlich ist,
die rein naturalistische Auffassung zeigen.
Ich bin daher sehr erfreut, daß Sie sich
mit dem Gedanken des Froschprinzen
getragen haben, bei dessen Begegnung
mit dem denkbar schönsten Mädchen,
dieses, durch die natürliche Scheu vor dem
verzauberten Ungethüm, das Gefühl
des Erstaunens und der Schamhaftigkeit
durch eine der graziösesten Bewegungen,
die sich denken lassen, Ihnen bieten
wird. Dadurch ist auch, außer durch die
Schönheit an sich, auch das Märchenhafte
gegeben, welches hier ganz am Platze
wäre. Das eine möchte ich nur noch bei
einer solchen Darstellung als absolut
nothwendig erwähnen: daß der Körper

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des jungen Mädchens mitteninnen stehen
müßte zwischen einemr unreifen und einer
eben gereiften Jungfrau, also Entwicklung
von Brust und Hüften etc. noch im Werden
stehen; eine üppigere Entwicklung würde
sofort alle Poesie stören. Sollte Ihnen
eine direkt aus einem Gefäße Wasser
spendende Jungfrau angenehmer erscheinen,
so kann ich mir dies auch vorstellen, es
würde aber dann das Märchenhafte
fehlen. Um Ihnen eine Idee zu geben,
wie ich mir etwa so eine Figur denke,
so habe ich mich gestern Nachmittag
und heute nach meiner ärztlichen Kur
hingesetzt und habe Ihnen 2 kleine
Figuren auf schlechtem Papier und ohne
Natur hingezeichnet. Sobald Sie dieselben
sich angesehen und daraus meine Wünsche
erkannt haben werden, so darf ich Sie
wohl bitten, mir die beiden Blättchen

[Einfügung linker Rand senkrecht]
wieder hierherzusenden, wo ich etwa bis zum 4. Mai zu bleiben gedenke. Es würde
mir auch angenehm sein zu wissen, ob es Ihnen viel Mühe machen würde, nachdem
wir uns nach noch von Ihnen zu erwartenden Zeichnungen über die Behandlung eines

[Einfügung aus Seite 3, linker Rand senkrecht]
der vorzuschlagenden Motive geeinigt haben werden, mir eine oder ein paar
plastische Skizzen zu senden (ich vermuthe in Gipsabguß). Nun leben Sie wohl u. lassen
Sie bald von sich hören, womöglich sehen!

Ihr herzlich ergebener
F Graf Harrach

Dresden 29.4.1902.

Anmerkungen

  1. Werk Georg Kolbes, Badende (Brunnenfigur für Ferdinand Graf Harrach), 1902, s. Hermann Schmitt: Georg Kolbe, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, Januar 1904, S. 81 f., Abb. S. 82