Transkription

Rom, am 20.Febr. 99.

Lieber Graf!

Da ich so sehr froh und guter Dinge bin, komme
ich heute wieder zu Ihnen gewandert und es
kann alles nichts helfen, Sie müssen noch mal
so einen kleinen Freudengesang anhören.

Wirklich, Graf, ich bin so glücklich und hochgestimmt,
daß ich mich garnicht wiedererkenne. Ich weiß
nicht, was daraus werden mag, die Erde wird schöner
mit jedem Tag; übrigens bin ich jetzt in ein
Schubertlied hineingeraten und will gleich wieder heraus-
steigen. Von der Frühlingspracht in Rom getraue
ich mir fast nicht zu sprechen, ich vermag es doch nicht
zu schildern. Die ganze neue Kraft ist in mich
hineingefahren und hat mir unglaubliche Lust gebracht.
Ich möchte manchmal laut rufen! Und wenn ich
mich frage, warum mir eigentlich so wohl ist, so
kann ich’s nicht sagen. Nicht, daß ich draußen herum-
taumelte und mich am Frühling ergötzte! Nein,
ich habe so wenig davon. Gestern allerdings, am Sonntag
Nachmittag, war ich in der Campagna.

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Aber schon wenn ich früh erwache, ist mein Atelier so licht,
daß es einem ganz anders wird. Und der Tag dauert dann
so lange, die Sonne will fast nicht untergehen.
Und wenn man da gut arbeitet, so ist das eine große Lust
hier. Manchmal stehe ich ja etwas sehnsuchtsvoll
am Fenster und blicke hinauf auf den sonnigen
monte pincio, aber schnell wird der Vorhang zugezogen
und wieder angetreten.

Was ich mir jetzt ganz wunderbar vorstelle, ist, wenn daß
ich mit Ihnen in dem schönen Frühling einmal
8 Tage in Florenz sein könnte. Denken Sie sich
das nicht schön? Dort könnten wir frohe Stunden
finden.

Ich bin jetzt so ganz anders geworden, und das liegt daran,
daß ich das Schlechte der Menschen einfach nicht mehr sehe;
ich kann mit jedem gut sein und mich über das
Geringste freuen. Ich erwarte nichts mehr vom
Menschen, nehme aber alles, was mir gut scheint
und sich mir im Augenblick bietet, gern an.

Der ganze Ekel, den ich früher kannte, ist verschwunden,
und wie leicht ist mir jetzt. Wie froh würde ich aber
erst sein, wenn ich hier einen guten Verkehr hätte.

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Außer mehreren älteren Menschen habe ich einfach gar keinen
Bekannten, der mir genügte. Und der Umgang mit älteren
ist doch stets nur bis zu einem gewissen Grade angängig.
Alle Menschen, die mir nahe stehen, kann ich nur
brieflich sprechen. Gewiß wird es aber auch später anders
werden.

Greiner(1) ist noch immer in Deutschland. Wie mir kürzlich
gesagt wurde, fertigt er ein Porträt der Frau Cosima Wagner(2).
Ich muß gestehen, daß ich ihn sehnlichst hier erwarte. Einmal
hab ich ihn gern, und er ist der Einzige in Rom, von dem
ich ein gutes Wort hören mag; die Urteile anderer erkenne
ich einfach nicht an.

Lieber Graf, ich wünschte, Sie besser zu verstehen.
Ich überlege und denke, aber was ich auch denken mag, ich
begreife nicht, was für Gedanken Sie vom Arbeiten abhalten.
Überhaupt weiß ich nicht, was Ihnen im Leben das Schönste, das
Wichtigste ist. Ich möchte so gern mit Ihnen darüber
sprechen. Denn wie kann ich Ihnen gute Worte sagen, wenn
ich von Ihrem Denken so wenig, ja garnichts weiß?
Ich habe jetzt so Vieles selbst gelebt, so Vieles ist jetzt durch
mich gegangen und sehr Seltenes und Schlimmes,

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aber ich weiß nun, daß jeder Mensch die reine Freude
finden kann, sobald er nur etwas gesunde Kraft
in sich hat.

Heute bin ich durch einen günstigen Umstand in
ein ausgezeichnetes Wagnerkonzert gekommen, und ich
hatte vielen Genuß; doch fällt auf mir Wagners
krankes Wesen immer mehr auf.
Für mich ist er einfach nur noch der leidende Tristan,
wie er in den Kissen liegt und sich vor Liebes-
schmerzen windet.
Solche Sachen können keineswegs gesund machen.

Ich grüße Sie herzlichst, lieber Graf
und wünsche Ihnen viele, viele Freude

Ihr
Georg Kolbe

Schönen Dank für die kleine Photographie,
ich sehe sie gern an.