Transkription

Lieber Herr Kolbe! Besten Dank für Brief.
Mit Guido Richter(1) stehe ich sowohl {wie} Lüh-
rig feindlich. Müller(2) & Zwintscher(3) dagegen
ausgezeichnet. Zwintscher, welcher jetzt
an die Akademie hier als Professor des
Malsaals berufen wird, verläßt deshalb
G. Richter und hat Sie empfohlen; da
niemand hier ist, {der} irgend einen Namen hat.
Auf eine repräsentative Kraft kommt
es Richter, dem diese seine Akademie nur
Geschäft ist, vor allem an. Was die Mäd-
chen, girls and ladies bei ihm lernen,
ist ihm völlig Wurscht. Hauptsache:
die Damen sollen möglichst lange bleiben

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und sich wennmöglich gut amüsieren.
Zahlung ist bei ihm sicher. Doch müssen
Sie vorher unbedingt einen Contract
machen, jeden Punct vorher gründlich
beriechen und vor allem nicht gleich sich
nach 2 Stunden hinsetzen und schon
das Skriptum unterhauen. Denn
Guidochen ist verdammt schlau.
Glücklicherweise ist er auf Sie ange-
wiesen. Uns hat er alle gehabbt,
und die übrigen (wie Pietschmann(4) und
sein Lager) waren und sind bei
Richter’s Conkurrenz: Akademie
Simonson-Castelli(5)
.

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II

Sie können also Bedingungen setzen.
Vor allem: Sie müssten extra seinetwegen
sich aus einer Reihe von glänzenden
Aufträgen in Leipzig herauswickeln,
und ob sich das auch rentiere? Lassen
Sie sich nicht auf Percente ein! Als
Fixum giebt es nicht viel, es ist aber
sicher.
Zum Unterricht, du lieber Himmel,
sind Sie natürlich viel zu schade, also
fragen Sie nicht so töricht, ob Sie eine
solche Stelle wohl ausfüllen können.
Englisch können Sie wohl; das ist hier
wichtiger als alles andere.

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Die Hauptsache ist, den „studierenden Damen“
nicht die Lust an ihren „Werken“ zu nehmen.
Sagen Sie Richter aber nicht, dass wir
befreundet sind. (Sie kennen mich vom
Ansehen), denn das ist für Sie dort gerade-
zu schädlich.

Es sollte mich freuen, wenn [Sie] durch diese
Chose (ob sie Ihnen zum Umzug wert
genug erscheint!?) nach Dresden kämen
und so unsere Phalanx, die das Ernste
will, vermehrten. Es ist aber doch so
scheusslich undankbarer Boden und
adversarii wie Pilze. Ich bin wirklich
schon halb geknickt durch diese enorme
Verständnislosigkeit für mein Wollen.

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Ich arbeite fleissig, aber ver-
drossen; Aufträge, auch nur
der kleinsten Art, sind nicht
gekommen; versichere Sie, ich
bin recht verstimmt. Darf
nicht fort und täte es sogern.
Oktober und Anfang Novem-
ber werde ich hingegen nach
Helgoland gehen, nämlich:
so es Jahve gefällt.

Es freut mich zu hören, dass Sie
sich auch einmal aus
der Arbeit losgelöst haben

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und andere Luft geniessen.
Gönne Ihnen das von gan-
zem Herzen. Erholen Sie sich!
Sollte aus Richter etwas
werden, so müssen Sie über
Meissen kommen! Ich werde
mich sehr freuen, Sie einmal
wiederzusehen.

Mit besten Grüßen auch
Ihrer lieben Frau

Ihr S. Schneider

26/7/03

Anmerkungen

  1. Richter, Guido Paul (18.3.1859, Dresden – 1941, ebd.), Maler, von 1901-1924 Lehrer am Königlich Sächsischen Kadettenkorps in Dresden, Leiter der 1896 gegründeten Alten Dresdner Kunstschule für Damen und Herren

    http://d-nb.info/gnd/136393314
  2. Müller, Richard (28.7.1874, Tschirnitz a. d. Eger, heute Černýš – 7.5.1954, Dresden), Maler und Grafiker,1900 – 1935 Professor an der Dresdner Kunstakademie, ab 1933 als Rektor

    http://d-nb.info/gnd/119189100
  3. Zwintscher, Oskar Bruno (2.5.1870, Leipzig – 12.2.196, Dresden), Maler, ab 1903 an der Dresdner Kunstakademie

    http://d-nb.info/gnd/117603201
  4. Pietschmann, Ernst Max (28.4.1865, Dresden – 1952 ebd.), Maler

    http://d-nb.info/gnd/11618518X
  5. Die "Akademie für Zeichnen, Malen und Modellieren" war eine private Malschule, gegründet von dem Maler David Simonson (15.3.1831, Dresden – 8.2.1896, ebd.), der 1895 ebefalls die Malakademie für Damen gründete. Nach seinem Tod wurde die Akademie weitergeführt von seinem Sohn Ernst Oskar Simonson-Castelli (20.11.1864, Dresden – 27.8.1929, ebd.).