Transkription

8. 1. 31

Lieber Kolbe!

Verzeihe bitte, daß ich Dir erst
heute schreibe. Du würdest mir
Unrecht tun, wenn Du bei Be-
urteilung dieser Tatsache
die Schwierigkeiten nicht in
Betracht ziehen wolltest, die
mir meine Talentlosigkeit,
oder was sonst in dem Leim
enthalten sein mag, der mei-
ne Schritte hemmt, aufer-
legt. Ich nehme an, Du weißt,
wie sehr ich mich über die
beiden Sendungen Bilder
Deiner Arbeiten gefreut habe,
und ich danke Dir herzlich
dafür. Deine Arbeiten sind

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von den Wenigen, die mein
Interesse an neuer Kunst noch
in Spannung halten, und da
sie sich immer noch wandeln,
habe ich damit nicht das Ge-
fühl, daß meine Anteilnahme
steril geworden ist, und vor
allem Neuen Halt macht,
wie das alten Herren leicht
passiert. Das kleine Buch
von Justi(1)
ist, so weit das
in dem Format möglich
ist, geeignet, einen Be-
griff Deiner Entwickelung
über das Buch von Valen-
tiner(2)
hinaus zu geben.

Du hast die Tiefen im Ein-
zelnen in den letzten Jahren

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verstärkt, wodurch haupt-
sächlich die Kontur an Aus-
druck und Sicherheit ge-
wonnen hat, und es schei-
nen mir hierdurch eine Reihe
neuer Stellungen im Ganzen
plastische darstellbar ge-
worden zu sein. Das mit
Worten interpretieren zu kön-
nen, hätte sicher jetzt und
für spätere Zeiten einen ge-
wissen Wert, und da ich
meine, daß es noch keineswegs
von anderer Seite geschehen
ist, versuche ich mich
noch immer daran, obwohl
das Meiste von dem Ge-
schriebenen nach wieder-
holter Prüfung mit dem

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Ausruf (ich habe angefangen,
vor mich hin zu reden): „Ach
Sie, quatschen Se nich, „Herr“,
in den Papierkorb fliegt.

Besonders möchte ich Dir noch
danken, was Du über die
Fotos meiner Arbeiten mir
geschrieben hast, und ich
bitte Dich, demnächst noch
mal ein paar Bilder anschauen
zu wollen, die wohl in der
nächsten Woche gemacht
werden. Nach den Kritiken
über meine Arbeiten, die
ich von durchreisenden alten
Freunden erfahren oder er-
raten habe, hat es mich be-
sonders gefreut, daß du von

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Fortschritten geschrieben hast.

Denn ich wüßte nicht, wozu
ich mich sonst noch be-
mühen sollte.

Ich wünsche Dir und Keudells(3)
alles Gute zum neuen Jahr
und grüße Euch Alle herzlich

Dein
Scheibe.

Anmerkungen

  1. Ludwig Justi: Georg Kolbe (Junge Kunst, Band 60), Klinkhardt & Biermann, Berlin 1931

    http://d-nb.info/580316297
  2. Wilhelm R. Valentiner: Georg Kolbe. Plastik und Zeichnung. Kurt Wolff, München 1922

    http://d-nb.info/361798733
  3. Familie von Georg Kolbes Tochter Leonore (verh. seit 1923 mit Kurt von Keudell (12.1.1896, Breslau –3.1.1978, Hannover, Diplomat und Maler)