Transkription

28.7.25.

Lieber Kolbe!

Die 87 Mk. habe ich
vor 8 Tagen abgeschickt.
Hoffentlich gelangen sie
in Deine Hände. Vielen
Dank dafür, daß Du
sie ausgelegt hast.

Seit mir mein Bruder
Zeitungsausschnitte
über den Fall Lederer(1)
schickte, geht mir in mei-

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ner Einsamkeit diese
Sache im Kopf rum. Ich
habe das Gefühl, daß
etwas dagegen geschehen
muß im Interesse der
künstlerischen Ange-
legenheiten. An u. für
sich geht natürlich nichts
daraus hervor, als was
man längst gewußt
hat: Daß der Mann ein
Spießer ist, der aufbe-
gehrt, wenn ihm das

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Geniale entgegentritt.
Ferner, daß der Kopf nicht
in den Stil des hohen Hau-
ses paßt. Leute wie Le-
derer muß es natür-
lich eine ganze Masse
geben und sie sind er-
träglich. Wenn ihnen aber
zuviel eingeräumt wird,
erlauben sie sich, die Tu-
genden außer Acht zu
lassen, die sie aus Klug-
heit u. Erziehung an-

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genommen haben, ohne
sie zu besitzen. Dann
sind die anderen ver-
pflichtet, unbeschadet
ihrer persönlichen Ruhe,
dagegen zu protestieren.

Ich rate Dir, dies in einer
Akademiesitzung nach-
drücklich zu tun. Wie
denkst Du über einen
Protest einer Reihe Künst-
ler und Freunde?
Ich schrieb dieserhalb ges-

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tern an Lenbach(2). Er be-
dauere, in diesem Fall
wieder so wenig promi-
nent zu sein, u. ferner
scheint es mir sich in die-
sem Fall zu zeigen, wie
falsch die Auflösung
der Secession(3) war. Es war
doch wenigstens eine Künst-
lerschaft angedeutet,
aus der man raus-
fliegen könnte.

Entschuldige, daß ich
Dich in Deiner Sommer-
frische an diesen Quatsch

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erinnere. Hoffentlich
habt Ihr schönes Wet-
ter. Ich liege hier, wie
gesagt, leider zunächst
fest. Wichert(4) läßt sich
in einem Schweizer Sa-
natorium auf Neu
arbeiten. Herzlichen
Gruß Dir u. den Dei-
nen

Dein
Scheibe.

Anmerkungen

  1. Eklat um die Büste von Friedrich Ebert von Georg Kolbe. Das negative Gutachten des Bildhauers Hugo Lederers und die schließliche Ablehnung der Aufstellung der Büste führten zu einem Presse-Skandal, der allgemein als 'Fall Lederer' bezeichnet wird (s. a. Ursel Berger, Georg Kolbe, Leben und Werk, Berlin 1990, S. 77 f.).

  2. Lenbach, Franz von (13.12.1836, Schrobenhausen – 6.5.1904, München), Maler, lebte von 1910 bis 1914 in Paris, anschließend in Berlin

    http://d-nb.info/gnd/118571516
  3. Freie Secession. Die Künstlervereinigung "Freie Secession" spaltete sich 1914 von der "Berliner Secession" ab. Sie bestand bis 1924

    http://d-nb.info/gnd/230119-2
  4. Wichert, Friedrich Karl Adolf (Fritz) (22.8.1878, MainzKastel – 24.1.1951, Kampen (Sylt)), Kunsthistoriker, Direktor der Mannheimer Kunsthalle, ab 1923 der Frankfurter Städelschule

    http://d-nb.info/gnd/118632248