Transkription

München, 2.7.19.
Agnesstr. 22.

Lieber Herr Kolbe!

Ihre Sendung(1) ist vorgestern
wohlbehalten hier angelangt; ich
habe sie gleich mit großer Ungeduld
u. Neugierde ausgepackt. Ich bin
hoch entzückt, – ebenso ist auch
meine Mutter, die gar nicht mehr
von der Büste weggehen will,
u. meine Verwandten u. Freunde,
die sie gesehen haben. Ich danke
Ihnen herzlichst, lieber Herr Kolbe,
Sie haben mir eine sehr, sehr
große Freude gemacht u. ich
fühle mich arg in Ihrer Schuld.

Die Büste ist mir nicht nur eine

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liebe und wertvolle Erinnerung
an Sie u. Ihre große Kunst,
– wie ich Ihnen schon geschrieben habe, –
sondern auch an die schönen, sonnigen
u. oft doch sehr idyllischen Tage
in Konstantinopel(2)
, die wir zusammen
verlebt haben, u. damit an
einen Lebensabschnitt, der mir
in meinen alten Tagen sicherlich
in einem sehr schönen Licht
erscheinen wird.

Ich denke, daß ich September
oder Oktober, wenn man
ein bißchen klarer in die Zukunft
wird sehen können, nach

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Berlin kommen werde. Da
kann ich Ihnen dann noch
mündlich danken, hoffend,
daß ich auch ein bißchen
von Ihren Werken u. Schaffen
in Berlin werde sehen dürfen.

Mir geht es gesundheitlich gut,
– sonst bin ich arg einsam u.
mehr wie [?] zurückgezogen. Ich arbeite
noch in meinem alten Beruf –
Liquidation des Alten u.
Mithilfe beim Aufbau des
Neuen. Aber ich befinde ich
auch im Absterbeetat. Wenn
ich nicht nochmal irgend eine
zweckmäßige Arbeit im Ausland
finde, so werde ich wohl in

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absehbarer Zeit irgend wo
auf dem Land meinen Kogl
bauen. In dem urteilslosen
u. heruntergekommenen München
ist es nicht mehr schön.

Hier geht das Gerücht, Kühlmann(3)
habe Baby Friedländer(4) geheiratet,
ob's wahr ist??

Und nun Adieu, lieber Herr
Kolbe! Viele Grüße u.
nochmals herzlichen Dank!

Ihr
aufrichtig ergebener

O. v. Lossow.

Anmerkungen

  1. Werk Georg Kolbes, Porträt Otto von Lossow, 1917

  2. In den Jahren 1917 und 1918 war Georg Kolbe als Soldat in die Türkei versetzt und in Konstantinopel als Bildhauer tätig, Otto von Lossow diente während des 1. Weltkrieges als Militärattaché, später als Generalmajor und als deutscher Militärbevollmächtigter in Konstantinopel.

  3. Kühlmann, Richard von (3.5.1873, Konstantinopel – 6.2.1948, Ohlstadt, Oberbayern), Diplomat. In seiner Eigenschaft als Botschafter in Konstantinopel und später Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hatte er sich im Ersten Weltkrieg für Georg Kolbes Aufenthalt in Konstantinopel eingesetzt. In zweiter Ehe (1920 – 1923) verheiratet mit Marie-Anne von Friedländer-Fuld, gesch.Mitford.

    http://d-nb.info/gnd/118778153
  4. von Goldschmidt-Rothschild, Marie-Anne, geb. von Friedlaender-Fuld, gesch. Mitford, gesch. von Kühlmann (17.1.1892, Berlin –  30. 11.1973, Paris), Tochter von Friedrich Victor von Friedlaender-Fuld und dessen Ehefrau Milly Antonie Fuld. In zweiter Ehe (1920 – 1923) verheiratet mit dem Diplomaten a.D. Richard von Kühlmann.

    http://d-nb.info/gnd/122746090