Transkription

13.3.46

Mein lieber Kolbe,

es war nett, so nett, Ihre Schrift
wieder zu lesen ˗ Dank auch für
die Einlage. Die Ausst.[Ausstellung] in Celle
ist aus privatem Besitz zusammen-
geholt – wie zumeist alle diese
Ausstellungen.

Schreiber-Weigand(1) ist also wieder
Direktor des ehemals Städt. Museums.
Die Kunsthütte war das, was man
anderswo Museumsverein od. Galerie-
verein nannte, wo er ehedem auch
der spiritus rector war. Der Verein ist
wie alle Vereine hier verboten.

Dirksen(2) hat ohne Habe Gröditz-
berg verlassen – s. Zt.[siehe Zeitung] – u. soll jetzt
in Kreuth in Bayern leben, ich
bin leider auch noch nicht dazu ge-
kommen, an ihn zu schreiben – ist
ja auch ziemlich zwecklos – aber
tun Sie's mal. – Frau Bekker(3)

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ist wohl ganz den Verhältnissen
gewachsen – nicht der Kohlennot.
Seit ein paar Monaten wohnt sie
auch wieder in ihrem Haus, das
erst mal von den A.[Amerikanern] beschlagnahmt
worden war.

Mit meinem Kommen nach
Berlin giebt's geradezu giganti-
sche Hemmungen. Anscheinend kann
man im westl. Bln keine Zuzugs-
genehmigung, d. h. keine Wohnung,
für mich bekommen, jedenfalls hat
Herr Sticht(4), den ich nicht kenne, mich
schleunigst für Weissensee angeln
wollen – nächstens strecke ich
alle Viere von mir u. stelle mich
tot. Der ganze eilige Aufbau
der Kunstschulen ist ein fürchter-
licher Bruch, die Etats sind doch
einfach nicht zu ermöglichen.

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In Weimar will man bereits
die ganze Abt.[Abteilung] Freie Malerei
abhängen – an der Dresdner Aka-
demie sollen 3 ganze Lehrstellen
übrig bleiben, die den gesamten
Akademiebetrieb versorgen sollen
bei 300 M Gehalt u. täglicher Kündi-
gung! – Und was in der hohen
Politik gespielt [wird], kriegen wir
bestimmt nicht zu erfahren, dafür
will man mich durchaus in die
KPD drängen, mitunter möchte
ich mit Atombombchen dazwischen-
knallen.

Seien Sie – lieber Kolbe –
vielmals gegrüsst mit allen
guten Wünschen – hoffentlich
wird der Gedanke, einander
gegenüber zu sitzen, auch mal
Wirklichkeit.

Ihr alter

SR

Anmerkungen

  1. Schreiber-Weigand, Friedrich (17.9.1879, Chemnitz – 10.7.1953, Karl-Marx-Stadt ), Leiter der Chemnitzer Kunsthütte 1911 – 1933, Direktor der Städt. Kunstsammlung Chemnitz von 1920 – 1933 und nach 1945, Direktor der Städtischen Museen

    http://d-nb.info/gnd/117045470
  2. Dirksen, Herbert von (2.4.1882, Berlin – 19.12.1955, München), Diplomat. Bis 1945 Gutsherr auf Schloss Gröditzberg, Niederschlesien

    http://d-nb.info/gnd/116138548
  3. Bekker vom Rath, Hanna (7.9.1893, Frankfurt a. M. – 8.8.1983, Bad Nauheim), Kunsthändlerin und Künstlerin in Frankfurt am Main

    http://d-nb.info/gnd/118655035
  4. Sticht, Otto (7.7.1901, Witten-Herbede – 27.6.1973, Siegen), Metallbildhauer, Leiter der 1946 von ihm gegründeten Kunstschulde des Nordens in Berlin-Weissensee (später Kunsthochschule Berlin-Weissensee)

    http://d-nb.info/gnd/1049761235