Transkription

3.9.28

Lieber Kolbe, der Sommer geht zur Neige –
u. wenn ich Ihnen solange nicht schrieb,
geschah es nicht, weil ich nicht oft an Sie
gedacht hätte, als al aus dem Grunde,
ich wollte Ihnen keinen Klagebrief schrei-
ben. Es ist mir den Sommer nicht son-
derlich gegangen – bei dem abscheulichen
Klima, das hier die Küste beglückte,
kriegte ich bald wieder einen Erkältungs-
anfall. Er war nicht nicht gerade so, dass ich
mich ins Bett packen musste, aber er hat
mir doch lange wieder angehangen – das
Schlimmste dabei sind ja immer die mo-
ralischen Auswirkungen, die im Grunde
wohl wieder nur müde Nerven sind.
Man verliert das Vertrauen zu sich – u.
dies ein zweifelhafter Spass.

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Wie geht es bei Ihnen? Sie haben so-
lang sich keine Ausspannung gegönnt,
ich fürchte, Sie werden es darum auch
merken. Was macht Ihr Bau? Ich
bin so gespannt darauf, zu hören – u.
hoffentl. bald zu sehen, wie weit Sie
damit sind. – Die Secessionsausst.[Secessionsausstellung] ist
jetzt zu Ende. Das Ergebnis wird wohl
recht dürftig sein. Die Statuten habe
ich mir übrigens mal schicken lassen – ich
kann mit solchen Statuten u. Mitglieder-
versammlungen verflucht wenig anfangen –
es müsste vor allem ein Vorstand, wenn
eine vernünftige Ausstellungslinie durch-
geführt werden soll, nicht einfach immer
wieder abtreten od. neu gewählt werden müssen.

Freilich hat es keinen grossen Zweck,
darüber nachzudenken, solange nicht

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überhaupt der finanzielle Bestand der
Sec.[Secession] einigermassen eine Basis hat. Wie
weit die schöne Gesellschaft der Freunde
die abgeben wird, kann ich nicht beur-
teilen. Haben Sie etwa schon etwas
darüber gehört? – Ich habe diesen Sommer
von draussen überhaupt nichts gehört,
bin langsam neugierig auf die Ereignisse
u. Nichtereignisse dieses Winters –

Seien Sie herzlichst gegrüsst!

Ihr SRottluff