Transkription

[Postkarte aus russischer Kriegsgefangenschaft]

Prof. Georg Kolbe
Berlin-Charlottenburg 9
Sensburger-Allee 25

Ivo Beucker, Ingo
U.d.S.S.R
Rotes Kreuz, Moskau, Postfach 275/308

Seite 2

12.XI. 1946
Mein lieber Georg Kolbe,
mit Ihrer Karte kam die erste Nachricht über
meine Frau: so war ich doppelt glücklich. Auch dass
Meister Scheibe(1) wieder neben Ihnen wandert, hat mich
innigst gefreut. So ist doch diese Heimat nicht
zerstört! Ich arbeite nach wie vor als Maler hier.
In der letzten Zeit habe ich auch einige russische
Lieder und Gedichte übersetzt. Die Scheu vor
sehnsuchtsvollen Gedanken treibt zu allen mög-
lichen Beschäftigungen. Die Warte des Lebens
ist zweifellos höher geworden durch diese vielfäl-
tige Einsamkeit. Doch steht die Aufgabe des Ord-
nens noch bevor. Oft glaube ich, dass die Kraft
wuchs. Bald kennen wir uns schon 20 Jahre!

Geben Sie bitte meine schönsten Grüsse an Scheibe
weiter. Ihnen meinen Dank „wie am ersten Tag“.

Ihr
Ivo Beucker