Transkription

Bln-Charlottenbg. 2, Grolman-Str. 59

28. Okt. 1933

Lieber Georg Kolbe!

Wenn auch die schönen Stunden eines Morgens
nur dem Träumenden selbst gehören,
so mag doch ein geringer Widerhall dahin
zurück gelangen, woher die Melodie kam.

Finden wir uns auch nicht mehr leicht
zurecht, wenn wir uns begegnen, so soll
doch der Meister um die Woge des Schülers
wissen.

Was mir lange Verhängnis schien, meine
allzu große Liebe zu Allem, was in Ihnen
und Ihrem Werke erkennbar war, das ist
mir in dieser Zeit ein so großer Halt geworden,
wie ihn nur ein junger Mensch haben kann.

Und diese Freiheit, daß ich mich nicht
mehr gegen – vielleicht – mich selbst wehre,
gibt mir die Ruhe, meiner eigenen Sehnsucht
nachzuträumen.

Nicht zu werden wie Sie, sondern zu sein,
wie ich sein muss, daß das ist mein Leben,
und selbst, wenn ich einmal alles Eigene
verloren zu haben scheine. Darum, weil ich
niemals häßlich sein kann, werde ich Sie
nicht kränken.

Seite 2

Die schöne Einsamkeit dieser frühen Stunde
riet mir zu diesem Brief, und weil ich
möchte, daß Sie daraus jene Dankbarkeit
lesen, welche das laute Zeitalter Ihnen versagt.

Ihr
Ivo.