Transkription

D'dorf, den 17. Okt. 1930

Sehr lieber Georg Kolbe!

Es ist schwer, eine höfliche und liebe Anrede
für Sie zu finden.

Ihr Brief hat mir so viel Freude gebracht,
daß ich dafür nicht danken kann.

Aber seien Sie doch nicht so betrübt über
sich. Wer so Freude und Schönheit verschen-
ken kann, ist nicht zu solcher Traurigkeit
berechtigt.

Ich arbeite, fast andauernd, schöne Stunden, und
oft möchte ich zu Ihnen kommen, eine halbe
Stunde zu früh!, und Sie mit meinem
Jubel überschütten. Oft glaube ich, daß Sie
ihn nötig haben in Ihrer Einsamkeit.

Der Herbst hier ist wunderbar farbig. Der Rhein
führt Hochwasser und gibt erst jetzt das rechte
Bild eines mächtigen Stromes. Es ist schmerzlich,
daß so wenig Menschen die Gewalt der Natur in
sich aufspeichern, denn sie würden stiller wer-
den und sich nicht auf diese unedle Weise
anfeinden und beschimpfen.

Seite 2

Der Nachtwind weht die bunten Blätter
von den Bäumen in die Gosse, scheinbar nur
darum, daß die kleinen Menschen, welche
morgen in die Schule gehen, in heller Freude
durch das angewehte Laub rascheln können.

Kinder sind doch die beglückendste Schöpfung
der Natur. –

Ich bestehe beharrlich auf Ihrem Versprechen,
mir die angekündigten Bücher zu schicken.

Vielleicht – es ist eine ganz kleine Hoffnung
zwar – komme ich im November ganz kurz
nach Berlin. Ich arbeite ungefähr 14 Tage
in Cassel. Hoffentlich gelingt der Sprung von
da zur Heerstraße! Fliegen tue ich wenig.
Und abgestürzt bin ich auch fast! Nicht
böse sein!

Schreiben Sie bald, daß es wieder
gut geht!

Ihr
Ivo Beucker