Transkription

D'dorf, den 4.III 1930

Lieber großer Freund!

Wie sehr habe ich mich über den lieben Brief
gefreut! Er ließ mich wieder einen Augenblick
im nun von der Sonne erhellten Atelier ver-
weilen, in welches ich damals um eine
halbe Stunde unter schwersten Vorwürfen zu
früh eindrang! Ich hab' diese Verfrühung
dennoch nicht bereut!

Hier kündet jeder Hauch den Frühling an.

Ich bin in der freien Zeit viel draußen.
Diese Niederrheinlandschaft ist eine ewige
Verschwenderin der Schönheit. Das Blau des
Himmels und des Wassers ist märchenhaft
klar.
Weiße Möwen fordern mit vollendeter
Grazie Bewunderung und Neid.
Die Dämmerung ist voller Melodie. Ferne
Geräusche verschmelzen in unsagbaren Tönen.
Dazwischen flötet ein Vogel versuchsweise
sein Sommerlied. Und Sterne zittern weich
den Rhythmus der Nacht hernieder.
Das alles ist unnennbar schön. Und ich
bin voll bis oben hin.

Das ist sicher: wenn ich einmal schaffen
werde, dann wird es ein Hymnus an
die Schönheit sein. Einverstanden?

Bei der Steinhauerei bin ich so weit, daß ich
heute ein eigenes Relief angefangen habe.
Nach den Schulflügen also schon wieder
Alleinflieger!

Seite 2

Wie es innen bei mir ausschaut, daßs
hat dieser Brief hoffentlich schon gesagt:
alles Jubel. Nur daß das Herz
manchmal über dem freudlosen Dahin-
welken anderer traurig wird.

Ich glaube, dies ist der Schwerste Augenblick,
wenn einmal das „Gefühl ist alles“ ange-
zweifelt wird, dann noch diese Welt
schön und verständig sehen. Denn diese
fast schicksalslose Jugend kennt diesen
Zweifel nicht.

Einen lieben Gruß und die Bitte,
mich recht bald so schön an die Arbeit
zu mahnen.

Ihr
Ivo

Von nun an heiße ich nicht mehr
Herr Beucker!