Transkription

Düsseldorf, den II. I 1930

Lieber Herr Professor!

Nichts um mich her gleicht jener schick-
salslosen Zeit, die ich in unbewußtem
Glück in Berlin verlebte. Nur hin und
wieder, gleich Blumen auf einer vergessenen
Wiese, leuchtet lächelnd das Bild irgend-
eines Erlebnisses wieder auf.

Und wie eine bestimmte Blume auf
einer solchen Wiese viel zahlreicher
als andere ist, so ist's mit man-
chem Geschehen. So ist's mit der Stunde,
da wir uns kennen lernten.

Jene Begegnung erscheint mit immer
märchenhafter, eben weil sie so schön
und unbegründet war, und weil, wie
in einem Märchen, eine unerfüllbar
geglaubte Sehnsucht selbstverständlich
wurde.

Ich habe mich nun dem, was Menschen
Beruf nennen, und was vielleicht auch
einmal Beruf sein wird, wieder
ganz hingegeben. Ich arbeite bei einem
Steinbildhauer als Lehrling, und der
Gedanke, daß es die beste und nütz-
lichste Schule für mich ist, läßt alle
Mühsal, und diese ist recht groß, ver-
gessen! So ist der Tag ausgefüllt, doch
bleibt mir genug Zeit, nach allem Schönen
zu forschen, und es gibt davon doch so
reichlich!

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Es gibt hier viele liebe Menschen. Oft
ruft mich einer, und dann spielt er
mir Bach und andere Herrlichkeiten vor.
Sie höre ich dann ich [sic] mich hinein, und
es ist immer ein stilles Glück dabei.

Sie sehen, ich habe auch hier ein schönes
Dasein.

Wie es mich freuen würde, wenn Sie
mir irgendwann aus Ihrer Verlassenheit
einen Gruß senden würden, das brauche
ich nicht zu sagen.

Einen recht lieben Gruß
Ihren Plastiken
von Ivo Beucker