Transkription

D.[Dresden] 5.Mai 04 [Jahreszahl von anderer Hand zugefügt]

Lieber Freund,

vielen Dank für Deinen Brief, der mir die ersehnte
und nun auch gute Nachricht von Dir und den Deinen
brachte. Ich freue mich sehr herzlich, wenn der Anfang
in Berlin gut ist und hoffe mit Dir auf einen
gleichen Fortgang. Aus Sachsen fortgezogen zu sein,
ist auf jeden Fall ein Gewinn, und wenn die
Gründe nicht stichhaltig waren, aus denen mir der
Wegzug von Leipzig bedenklich schien, so soll mich
das sehr freuen. Daß mir um Deine Zukunft nicht,
sondern nur um Deinen Weg zu ihr bang war, weiß[t]
du ja. Nun aber gleich meine Hauptfrage: Auf der
Ausstellung war ich noch nicht; Im Catalog steht aber
Dein Sommertag(1) nicht. Ich nehme an, daß er also nicht

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auf der Ausstellung ist. Da ich aber selbst gesehen habe, daß
er in Leipzig für die Ausstellung verpackt wurde, so fra-
ge ich: wie geht das zu? Hat ihn Dir etwa die Jury
refüsiert? Das wäre denn doch sehr unerhört und
ein rechtes Stück Dresdner Kunstgeschichte. Wenn es
geht, so kläre mich doch darüber sogleich durch eine Post-
karte auf; ich reise am Sonnabend ab, bis dahin
könntest Du ja vielleicht noch ein Wort schreiben.

Von der Ausstellung selbst kann ich Dir nichts schreiben.
Ein großes Collektiv Diezscher Skulpturen, darunter
sogar noch mal einer der Neustädter Brunnen(2), wird
von den Zeitungsschreibern besonders hervorgehoben.
Da mag das andere eben nicht zum Besten sein.
Krause, der dort war, sagte mir leider, daß Deine

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Skulpturen nicht zum besten stehen. Doch sieht der gern
etwas schwarz, und ich werde vor dem Sonnabend auf
jeden Fall selbst noch mal hingehen und Dir dann be-
richten. Bis dahin will ich mir das Schimpfen er-
sparen.

Am Sonnabend also, wie gesagt, reisen wir, und
zwar auf die üblichen 4 Wochen, nach Italien.
Ich freue mich jetzt sehr darauf, mal mit meiner
Frau ganz ungestört in dem schönen Land zu
sein und denke dabei, wie schlimm es bei uns
vor einem Jahr stand. Ich werde Dir von unter-
wegs schreiben und hoffentlich mit mehr Ruhe als
ich es heute kann. Sobald wir zurück sind,
wird meine Frau Deine Schwester aufsuchen, mit

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der sich dann wohl leicht trotz der großen Entfernung
eine Möglichkeit des Zusammenseins finden lassen wird.
Das soll mir eine Freude sein, und wenn sie mit
meiner 13jährigen Schwägerin im Alter zusammenpaßt,
so sollen sich die beiden auch kennen lernen.

Deiner lieben Frau von uns beiden herzlichste Grüße.
Wir hören immer alle Nachrichten von Euch mit dem
größten Interesse und wünschen das Beste.

H.S.

Anmerkungen

  1. Werk Georg Kolbes, "Ein Sommertag", Tempera auf Leinwand, 1903 (Dresden, Staatliche Kunstssammlungen, Gemäldegalerie Neue Meister)

  2. Brunnen in der Vorhalle des Ministerialgebäudes (heute Sächsische Staatskanzlei in Dresden-Neustadt), Werk von August Theodor Schreitmüller (2.10.1871, München – 15.11.1958, Dresden), Schüler des Bildhauers Robert Diez

    http://d-nb.info/gnd/1077826036