Transkription

D.[Dresden] 18. August 03

Lieber Kolbe

Seitdem wir uns in Fulda trennten, ist eine lange
Zeit vergangen, in der wir nichts voneinander gehört
haben. Warum, weiß ich eigentlich nicht. Ich hatte von
unserem Zusammensein mir eine so durchaus glück-
liche Erinnerung bewahrt, daß ich meiner Frau nur
freudig davon erzählte. Das lang gefühlte Bedürfnis,
mit Dir einmal so zusammen zu sein, daß ein
wirklicher Austausch stattfinden konnte, war ja er-
füllt, wenn auch noch soviel für die Zukunft zu
wünschen bleibt, da ich ganz erst dann mit unserer
Freundschaft zufrieden sein kann, wenn wir einmal

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in längerem, ausgiebigerem Zusammenleben an einem
Ort uns so kennen gelernt haben, daß es über das
Wichtigste keine Zweifelsfragen mehr zwischen uns
giebt und einer vom anderen nicht nur fühlt, sondern
erkannt hat, was der von ihm denkt. Aber gerade
darin, glaube ich, hat uns der Aufenthalt in Gersfeld
doch unendlich weiter gebracht, und ich bin Dir deshalb
dankbar. Aber freilich ist Dein langes Schweigen doch
für mich der Anlaß geworden, viel an einen Abend
zu denken, an dem Du, nachdem wir über Dich ge-
sprochen hatten, sagtest: Ich dachte, Du verständest es,
was mir fehlte, jetzt bin ich aber doch wieder irre
geworden. Damals hielt ich das für eine momen-

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tane, noch am selben Abend beseitigte Bedenklichkeit.
Habe ich mich da doch geirrt? Ich denke nicht daran, Dir
aus Deinem Schweigen während der letzten 3 Wochen einen
Vorwurf zu machen, ich hätte ja ebenso schreiben können.
Ich will Dir aber doch schreiben, dass ich mich infolge
dessen mit Gedanken gequält habe, die ich selbst für
albern halte. Wenn Du mir das bestätigst, so ist
mir die Erinnerung wieder ungetrübt.

Was machen Weib und Kind? Ich nehme an, daß
Ihr nun schon wieder in Leipzig seid. Wie steht es
mit Deiner Arbeit? Ich bitte Dich sehr, mir nun so
bald als möglich zu schreiben, wo ich hier Dein Bild sehen
kann, damit es ja nicht fortgeht, bevor ich es ge-

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sehen habe. Dann mag die Seemann(1)sche Geschichte
einen guten Verlauf nehmen. Denkst Du noch daran,
mich in etwas daran zu beteiligen?

Uns geht es gut. Wir hatten Wochen vollkommenster
Ruhe bei meinen Geschwistern, die ich um die Geschlossen-
heit ihres Daseins und ihrer Freude an ihrer Wirksam-
keit beneiden konnte. Wir haben das herzlichste Ver-
hältnis zueinander und fühlten uns so recht inner-
lich wohl beisammen. Nun hat meine Thätigkeit wieder
angefangen, über die eben leider nichts zu sagen ist, außer
daß sie mich hindert, ein Dutzend Menschen bei mir
hinauszuwerfen, die ich gern los wäre.

Deiner Frau die herzlichste Grüße von uns beiden.

In treuer Freundschaft immer.

Hermann S.

Anmerkungen

  1. Seemann, Artur (30.11.1861, Reudnitz bei Leipzig – 23.12.1925, Meran) übernahm 1899 den Verlag seines Vaters Ernst Arthur Seemann. Herausgeber der Zeitschrift für bildende Kunst, in der 1904 ein wichtiger Beitrag von Hermann Schmitt über den jungen Kolbe erschien.

    http://d-nb.info/gnd/107458055