Transkription

20.11.02 [Datum von anderer Handschrift zugefügt]

Lieber Kolbe,

Sie haben einen sehr heftigen und ungeduldigen Brief ge-
schrieben, der mich in einer trüben Stunde zu einer Antwort
trieb, die mich selbst so unbefriedigt gelassen hat als Sie.

Natürlich dürfen Sie etwas ganz anderes erwarten, als daß
ich Ihnen mit alten nutzlosen Klagen meiner Kleinmut
komme und Ihnen einen Brief schreibe, der auf soviel
Freundschaft, die Sie mir entgegenbringen, nur eine trübe
und selbstsüchtige Beschwerde über meinen augenblicklichen
Zustand führte. Sie sind nun vielleicht gereizt; nachdem
Sie solange immer wieder an mich herangetreten sind,
leiden Sie endlich unter dem Gefühl, ich ginge zu zaghaft
auf Sie ein und es wird Ihnen peinlich, in unseren Be-
ziehungen immer wieder allein einen Vorstoß gemacht zu

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haben, auf den ich nicht so erwidere, wie Sie erwarten.
Ich sehe ja selbst, wie viele Enttäuschungen ich Ihnen bereitet
habe, schon im Anfang unserer Bekanntschaft, dann in dem
Winter in Dresden und nun wieder in der letzten Zeit.
Was ist schließlich zu Stande gekommen? Ein etwas dürftiger
Besuch in Leipzig, wo kaum die erste Verlegenheit überwunden
wurde, und nun ein Brief, über den Sie sich geärgert haben.
Ich weiß wirklich nicht, ob ich nach dem allem noch einen
Anspruch auf Ihre treue Gesinnung erheben kann. Sie haben
wahrhaftig etwas anderes um mich verdient, und ich muß
Ihnen sehr leichtsinnig vorkommen, da ich so viele Freundschaft,
ein so seltenes Glück nicht an mich zu binden vermag. Und
doch ist es im Grunde so ganz anders, als Sie es empfinden.
Denn das kann ich wahrlich von mir sagen, daß ich Ihnen
nicht etwa kalt gegenüber stehe. Ich fühle mich Ihnen viel zu

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sehr verbunden, um von Ihnen lassen zu können, und da
ich Ihnen sehr viel verdanke, an Ihnen klarer und reiner
geworden bin und weiß, wie viel Sie mir noch sein könnten,
so schmerzt es mich sehr, wenn Sie wie jetzt sich wegzuwenden
scheinen. Ich wünschte nichts mehr, als regelmäßig von
Ihnen und Ihrer Frau zu hören und Ihnen zu berichten,
damit die träge Zeit und auch die Ferne nicht unserer
Freundschaft etwas anhaben könnte. Nur geht es leider
nicht, wenn Sie nicht die Ansprüche, die Ihre schnellere Natur
machen will und denen ich kaum je genügen werde, in dem
Gefühl einschränken, daß auch in meinen trägeren Äußerungen
sich Liebe und Treue verbirgt. Ich habe noch immer, Sie
wissen das ja, ein unbestimmtes Zagen zu überwinden, das
mir aus dem Zweifel kommt, ob ich Ihnen wirklich das
geben kann, was Sie beanspruchen müssen, wenn Sie

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Ihre ganze Person in Freundschaft hergeben. Sie wollen
das vielleicht nicht einräumen. Aber es ist doch so. Ich bin
schwerfällig auch im Denken und in meiner Entwicklung.
Meine Lebensstellung hält mich noch zurück und ich bin leicht
geneigt, diesen Hindernissen gegenüber den Kampf aufzugeben.
Mich hebt auch keine schaffende Kraft, die aus dem Innern
heraus nach irgend welcher Gestaltung drängt, über die Schwierig-
keit hinweg. Und so kommt mir immer wieder, wenn
ich Sie sicher und mit starkem Willen vorwärts gehen sehe, der
Gedanke, ich könnte nicht mitkommen, womit sich dann sofort
eine kleinliche Stimmung verbindet, die mir schon oft das
Zusammensein mit Ihnen verdorben hat und auch immer
wieder in meinen Briefen an Sie hineinkommt. Das leider
kann ich nicht von heute auf morgen ändern. Sie haben
es ja auch schon genug selbst erfahren, ich brauch Ihnen

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das kaum mehr auseinander zu setzen. Und doch bedrückt
es mich, durch etwas, was ich doch schließlich als meine Schuld
empfinde, Ihnen vielleicht entfremdet werden zu können.
Wie aber soll ich es anders machen, ich müsste mich ja
verstellen, wenn ich Ihnen ein anderes Gesicht zeigte und
das wäre unerträglich. Ich sehe Sie doch als meinen Freund
an. Und deshalb habe ich auch das Recht, Ihnen mein
ganzes Selbst rückhaltslos zu zeigen. Begreifen Sie, daß
eben die Angst, Sie dadurch zu verlieren, mich immer wieder
zwingt, auf das Geständnis meiner Schwäche zurückzukommen.
Fassen Sie bitte auch meinen letzten Brief so auf. Ich ge-
stehe, daß ich so nicht geschrieben hätte, wenn Sie nicht un-
geduldig geworden wären. Wenn Sie aber neben der
Inhaltslosigkeit noch einen Mangel an Herzlichkeit daraus
empfunden haben, so lassen Sie sich heute darüber aufklären,

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daß es hier mir an der Äußerung liegt. Sie könnten
ja auch nicht immer wieder gekommen sein, wenn Sie
nicht selbst davon überzeugt wären, wie ich schließlich zu Ihnen
stehe. Ich denke täglich an Sie. Aber wie oft habe ich eben
dabei wirklich gelitten in der Erkenntnis, von Ihnen immer
wieder offen und freudig aufgenommen zu sein und Sie
enttäuschen zu müssen, weil ich mit leeren Händen komme.
Und dabei glauben Sie am Ende, ich hielte nur Ihnen gegen-
über zurück, während mich der Gedanke ihres [Ihres] Argwohns, den
ich nicht lösen kann, weil ich ja gar nichts zum zurückhalten
habe, niederdrückt und immer wieder befangen macht.
So können wir unmöglich weiter kommen. Das ist mir
jetzt besonders klar geworden, als mir durch Ihr Schweigen
einmal die Möglichkeit nahe vor Augen trat, Ihnen
entfremdet zu werden. Ich habe also die Bitte an Sie,

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mich nachsichtig zu behandeln und sich nicht zu ärgern, auch
wenn einmal wieder mein dickes Blut sich als zu
schwerflüssig erweisen sollte. Lassen Sie sich dagegen
versichern, daß ich bemüht sein werde, die Stimmungs-
berichte und die theoretisierenden Abhandlungen über mich
und über Freundschaft ebenso aus meinen Briefen zu ver-
bannen wie ich mir Mühe gebe, die trüben Anwand-
lungen im Leben zu bekämpfen. Und vor allem glauben
Sie nie, daß ich weniger an Ihnen hänge als früher. Ich
hoffe nur das eine, ihnen [Ihnen] immer noch näher zu kommen
und unsere Freundschaft so zu festigen, daß solche Bedenken
ganz ausgeschlossen sind, wie Sie [sie] bei meinem letzten
Brief gehabt haben mögen.
Es liegt mir vor allem daran, Sie darüber heute aufzu-

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klären und Ihnen eine Entschuldigung meines letzten
Schreibens zu geben. Ich schließe deshalb auch heute mit herz-
lichsten Grüßen auch an Ihre Frau, der es, wie ich hoffe, gut
geht. Wie freue ich mich auf ein Wiedersehen mit Ihnen,
das freilich, wenn Sie nicht einmal nach Dresden kommen,
in diesem Jahr nicht mehr möglich wird. Bleiben Sie mir
der Freund, der Sie mir sind.

Ihr Hermann Schmitt.

D[resden] 20.11.02