Transkription

?.6.02 [Datum von anderer Hand zugefügt]

Lieber Freund,

Ihr Brief war, wie immer, eine große Freude für
mich, besonders weil ich diesmal unter dem Eindruck
ihrer [Ihrer] letzten unzufriedenen Nachricht über die Harrach(1)sche
Bestellung wartete und ernstlich in Sorge war, es möchte
sich die Angelegenheit, die für Sie doch nicht unwichtig ist,
zerschlagen haben. Nun lautet ihr [Ihr] Brief ja nicht eben sehr
erfreulich, soweit es diese Sache betrifft, immerhin müssen
Sie zufrieden sein, wenn wenigstens ein kleiner materieller
Erfolg erzielt ist. Ich wünsche Ihnen freilich nun endlich
die Möglichkeit, einmal etwas größeres und wirklich
eigenes schaffen zu können, denn wenn ich auch die Arbeit
an der Brunnenfigur nicht für so ganz verloren ansehen
kann, wie Sie es sagen, so können Sie natürlich mit
so etwas nicht erfolgreich vor die Öffentlichkeit treten,

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und von dieser Möglichkeit hängt ja die weitere Entwicklung
ihres [Ihres] Schicksals wesentlich mit ab. Wie kam es nur, daß
Harrach, der doch anfänglich so weitgehende Concessionen machen
zu wollen schien, sich dann so unvernünftig anstellte.

Für ihre freundliche Absicht, mich zu besuchen, vielen Dank.
Daraus kann aber natürlich jetzt gar nichts werden. Ich werde
vielmehr versuchen, wieder einmal nach Leipzig hinunter zu fahren,
und zwar denke ich an den 29. Juni. Ich müßte dann
allerdings noch einen Besuch in Leipzig damit verbinden
und könnte vielleicht am 28. nachm.[nachmittags] hinunterfahren, den Abend
mit Ihnen zusammen sein, dann am Sonntag mittag bei
der alten Dame zubringen, die ich aufzusuchen habe, um am
Nachmittag mich dann wieder mit Ihnen zu treffen. Ob der
Plan zur Ausführung kommen kann, ist noch nicht ganz sicher
und der Besuch könnte sich noch um einige Zeit verschieben.

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Sie dürfen dann also nicht schimpfen, ich schreibe Ihnen nur heute
schon davon, weil ich Ihnen zeigen will, wie sehr ich mich mit
dem Gedanken beschäftige und auf seine Ausführung freue.

Meine Braut ist jetzt auf mehrere Wochen verreist. Sie
kommt nur noch im Juli einmal auf kurze Zeit hierher.
Im August werde ich ihr dann nach Cassel nachfahren,
wo wir einige Zeit zusammen bleiben werden. Gegen Ende
August soll dann geheiratet werden, ob hier oder in Cassel,
weiß ich noch nicht. Danach habe ich nur noch wenige Tage frei
bis zum Wiederbeginn der Arbeit. Wo ich die zubringen
werde, weiß ich noch nicht. Jedenfalls habe ich vor, Sie dann
einmal mit der Frau aufzusuchen.

Ich bitte, Ihre Frau sehr herzlich von mir zu grüßen
und bin in treuer Freundschaft
Ihr H. S.

Arnold(2) sicherte mir neuerlich zu, Ihren Faust(3) noch einmal unter
günstigeren Verhältnissen auszustellen.

Anmerkungen

  1. Harrach, Ferdinand Graf von (27.2.1832, Rosnochau – 13.2.1915, Berlin), Landschafts-, Historien- und Porträtmaler; Vater von Hans Albrecht Graf von Harrach, Bildhauer (11.2.1873, Florenz – 22.10.1963, Hohenried)

    http://d-nb.info/gnd/119540479
  2. Galerie Ernst Arnold, Dresden, gegründet 1818

  3. Faust-Zyklus, Werk Georg Kolbes: "Aus Goethes Faust", bestehend aus 23 Farblithographien, erschienen 1902