Transkription

Bendemannstr. 15 I, D.[Dresden] 6. II. 1903.

Lieber Kolbe. warum ich Sie immer wieder durch langes
Schweigen ärgere, weiß ich wahrhaftig nicht. Denn ich leide
selbst dabei, und nicht nur unter dem Gefühl, Sie warten
zu lassen, sondern weil ich dabei persönlich entbehre. Und
doch habe ich Ihren Brief nun wieder fünf Wochen vor mir lie-
gen, bin so oft in Gedanken bei Ihnen und spreche täglich
mit meiner Frau über Sie, ohne zu thun, was ich doch will
und muß. Schimpfen Sie nun auf mich, aber sehen Sie
mir den Fehler nach und verlangen Sie keine Entschuldigungen,
die ich doch nicht vorbringen könnte. Meine Frau grüßt Sie
beide herzlichst. Sie hat sich wieder ganz leidlich erholt,
wenn ihr auch Schonung noch sehr not thut, und aufs Früh-
jahr ist sie, so hoffe ich, ganz die alte. Wir sind durch
ihren Unfall um manchen Abend ruhiger geworden, den wir

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in schöner Stille verbringen konnten und auf unsere Weise
benutzten. Ich wundere mich, wie die Ehe immer gehaltvoller
wird, indem der Austausch im Zusammenleben je länger
um so schönere Früchte trägt. Ich bin, wie Sie ja wissen, nicht
ohne Zagen zu dem Entschluß der Heirat gekommen und fühle
nun täglich mein Glück zunehmen, das mir die immer
innigere Gemeinschaft mit einem guten Menschen verschafft.
Sie schreiben so schön über ihre [Ihre] Freuden an dem Kinde und
an den Pflichten, die Sie überkommen haben; ich freue mich sehr
darauf, Sie nun alle drei besuchen zu kommen, was ich fürs
Frühjahr bestimmt vorhabe. Für das Wohlergehen von Mutter
und Kind habe ich die besten Wünsche.

Ihre Ausstellungspläne sind nach dem letzten Briefe nicht

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gesichert. Es muß aber doch in ihrer [Ihrer] Sache etwas
geschehen, und daß Ihre Sachen in Leipzig nicht
ausgestellt werden sollten, ist mir ganz undenkbar.
Daß Sie es nicht an dem nötigen Druck fehlen lassen,
glaube ich wohl, aber vielleicht ist es doch nicht gut, wenn
Sie dabei persönlich so ganz sich zurückhalten, wie Sie es
thun. Ich bitte Sie zu bedenken: Es ist sehr schön, wenn ein
Kunstwerk ganz aus sich heraus wirkt und zwingt, es
thut es aber ganz einfach nicht, oder nur bei so wenigen
Menschen, daß die nicht in Betracht kommen. Denn selbst
Leute von Kenntnissen und Verständnis stehen dem namen-
losen Kunstwerk in den meisten Fällen dumm gegen-
über, bis irgend eine Empfehlung sie veranlaßt, sich über-
haupt in die Sache so zu vertiefen, wie es nötig ist,

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um Wert von Unwert zu unterscheiden. Es ist das auch gar
nicht zu verwundern, wenn man bedenkt, wie groß die Ge-
schicklichkeit ist, die auf Grund so langer {historischer} Entwicklung heute
jedem zu Gebote steht, um über wahre Fähigkeiten wegzu-
täuschen. Unterschätzen Sie deshalb ja nicht die persönliche
Wirkung. Wer je im Atelier eines Künstlers war, sieht
von dem Tage ab dessen Werken mit völlig neuen Augen
an, und nicht nur die Frau Meyer. Ich weiß, wie Ihnen
das verhaßt ist und bitte Sie deshalb, mich recht zu verstehen:
Ich mute Ihnen gewiss keine Charlatanerie zu. Aber Sie
sind von der Kritik doch abhängig, und die ist, ausgeübt
von jungen frechen Kerlen, objektiv immer von übelgesinnt,
wenn Sie die Paradoxe erlauben. Sowie aber einer
Sie kennt, bricht er für Sie eine Lanze, und wenn
Sie erst ein Dutzend haben, das freudig für Sie ein-

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tritt und Sie auf den Schild hebt, so entsteht erst jenes
Für und Wider, aus dem sich die wirkliche Anerkennung
entwickelt. Ich glaube, Sie können und müssen in
der Richtung in Leipzig noch manches htun. Ihre Werke
werden, nachdem den ersten plastischen Sachen noch zu sehr
das Studium des Technischen angehangen, das Akademische
immer mehr verlieren, immer freier und vertiefter sein,
dafür bürgt mir Ihr Faust(1) und was ich bei Ihnen in Leipzig
gesehen habe. Je mehr Ihnen das Technische als ein mehr oder
minder Beherrschtes nur zum Ausdrucksmittel wird und Sie
den künstlerischen Kampf nur um das Ganze, das, was
möglichst einfach gesagt werden soll, kämpfen, um so
breiter muß auch Ihre Wirkung sein. Ich weiß nicht, ob
Sie mit mir den Unterschied zwischen und dem römischen

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Keulenschwinger und Ihrem Leipziger Mann(2), den ich im
Entwurf sah, gleich empfinden, glaube es aber: da sollte
sie [ihn überschrieben] doch der Geier holen, nämlich diesen und jenen, wenn
sie nicht einmal auf Sie aufmerken würden. Nur ver-
schaffen Sie sich Leute, die andere mit der Nase etwas
darauf drücken. Und wenn einmal ein Jüngling kommt
und schon bei Klinger(3)s Namen die Augen verdreht, ärgern
Sie sich nicht über ihn. Das sind vielleicht keine wertvollen,
aber sicher keine schlechten Menschen: Wer eine Ehrfurcht em-
pfindet, ist eigentlich schon dadurch besser als sein Nachbar.
Ich muß nun meine Predigt in Schutz nehmen und bitten,
sie nicht übel aufzunehmen; Ich wünsche Ihnen aber so
dringend einen Erfolg, der nicht mehr auf sich warten läßt,
daß ich Ihnen den oft gegebenen Rat doch wiederholen

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mußte. Sie werden das meiner Freundschaft nachsehen,
ebenso wie im Dezember die Sendung des Briefs, mit dem
ich in unliebsame Conkurrenz mit Frau v. Öttingen(4) ge-
kommen bin, wie ich aus Ihrer bitteren Bemerkung in dem
Brief ersah, der sich mit meinem Paket kreuzte.

Die letzte Nachricht über Sie bekam ich von dem kleinen
Freund, den Sie das Offiziersjüngelchen nennen. Er
besuchte mich in Dresden und bat um Ihre Adresse,
die ich ihm trotz ihrer [Ihrer] mir bekannten Gesinnung nicht
vorenthalten wollte, wenn ich ihm auch abriet, Sie zu
besuchen. Nun schrieb er sehr erfreut. Er ist ein empfäng-
licher und offener Junge, für den ich zwar nicht, ich
möchte sagen, eine Freundschaft au pair empfinde, dessen

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liebenswürdige Anhänglichkeit mir aber wohl thut. Er
schrieb, daß Sie ihren [Ihren] Mann schon abgeformt haben, und
so kann ich vielleicht hoffen, bald die Bilder davon zu
sehen. Mein Anerbieten, in Berlin etwas für Sie zu ver-
suchen, halte ich natürlich gern aufrecht. Es ist das freilich
für Sie weder eine sichere noch eine glänzende Aussicht.

Bleiben Sie dennoch guten Muts und mir freundschaftlich
zugethan. Meine Frau grüßt herzlichst.

In treuer Freundschaft

Ihr
Hermann Schmitt

Anmerkungen

  1. Faust-Zyklus, Werk Georg Kolbes: "Aus Goethes Faust", bestehend aus 23 Farblithographien, erschienen 1902

  2. Werk Georg Kolbes, Keulenschwinger, 1900, verschollen

  3. Klinger, Max (18.02.1857, Leipzig – 04.07.1920, Großjena), Künstler, Maler, Radierer, Grafiker, Bildhauer

    http://d-nb.info/gnd/118563335
  4. Maria Fürstin zu Oettingen-Wallerstein, Person im Umkreis Kolbes, ohne weitere Angabe