Transkription

(Palucca)
(Dresden-A., Bürgerwiese 25, Tel. 26688)

13.7.26.

Lieber Herr Kolbe,

ich habe mich so sehr über Ihre Karte gefreut,
daß ich Ihnen gleich wieder schreiben möchte.
Aus all' diesen Gründen haben Sie natürlich
recht, nicht nach Dresden zu kommen, so sehr
ich mich auch gefreut habe, Sie wiederzusehen.

Wie kamen Sie g[e]rade auf Grohmann(1), ich kenne
ihn sehr gut, wir waren sogar früher viel zusammen,
jetzt nicht mehr, es war unmöglich, aber das erzähle
ich Ihnen einmal in Berlin. Mein Mann(2)
hätte Ihnen gern geschrieben, aber er ist schon seit
der Eröffnung der Ausstellung krank. Er hat den
Kopf(3)
nur ganz schnell nah gesehen, weil ich ihn
so darum gebeten habe, aber er war zu elend
schon, ich weiss nur, daß er sehr froh darüber war
und mir noch sagte, ich freue mich, wenn
Herr Kolbe kommt. Am selben Tag ist er noch
nach Leipzig in die Klinik gefahren, war
einige Zeit dort, dann hat er in Dresden zu
Hause gelegen und, seit ich fort bin, im

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Sanatorium, er hat ein Magengeschwür und
furchtbar zu leiden gehabt. Ich wäre auch be-
stimmt noch einmal von List nach Berlin ge-
kommen, wenn ich nicht in Dresden erst alles
hätte erledigen müssen. Diese Krankheit war
ein großer Schreck für mich, g[e]rade heute be-
kam ich Nachricht, daß es ihm besser geht,
aus diesem Grund bin ich auch so einsam
und alleine hier oben. Jetzt will ich Ihnen
noch von hier erzählen. Zuerst konnte ich
mich gar nicht entschliessen, zu reisen. Und
vor Freunden oder Bekannten hatte ich Angst.
(So wie Sie vor Dresden) Ich tat es dann mehr meinem
Mann zu Liebe, der mir immer dringender
sagte, ich müsse fort, und ich sah es auch ein,
ich bin sehr kaput. Hier bin ich nun ganz
alleine und ausser „Guten Tag“ spreche ich sonst
kein Wort, ich entbehre die Menschen nicht, nein
doch manchmal schon, man ist so sehr abgeschlossen
hier. Aber das Wetter ist ja so schön, seit 8 Tagen
immer Sonne, klarer Himmel, keine Wolke,
wirklich ganz südlich, die Hitze ist unheimlich.

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(Palucca)
(Dresden-A., Bürgerwiese 25, Tel. 26688)

Ausser mir sind nur noch vier Sommergäste
hier, die aber vor der großen Hitze geflohen
sind. Mir ist es nie zu heiss. Heute war ich
g[e]rade 6 Stunden am offenen Meer, ohne
einen Menschen zu sehen. In Worten kann
ich Ihnen diese Schönheit von List nicht be-
schreiben, Sie müssten es einmal sehen und
erleben. Dieses Jah[r] fühle ich mich wirklich
wie in Italien. Ich bleibe, wenn ich es aus-
halten, bis 5. Aug. hier, und wenn ich wüsste,
daß Sie noch in Berlin sind, würde ich
über B.[Berlin] fahren und Sie besuchen. Ach
wie gern würde ich Ihnen einmal alles hier
oben zeigen, ich weiss beinahe bestimmt, daß
Ihnen dies sehr liegen muss. Die anderen
Orte auf Sylt sind ja grässlich. Ich war ein-
mal in Westerland und bin schnell wieder
ausgerissen. Glücklich bin ich, daß ich seit
langer Zeit wieder lesen kann und daß ich
mein Leben einteilen kann, ganz wie
ich will. Es ist das erste Mal, daß ich so ganz für

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mich alleine bin, ich muss diese kurze Zeit
ausnützen, denn nächstes Jahr wird es furchtbar.
Ich habe viele Abende angenommen und muss
überhaupt rasend arbeiten, um alles zu be-
wältigen, was ich mir vorgenommen habe.
In letzter Zeit hätte ich fast den Mut ver-
loren, vielleicht lag es daran, weil ich keine
Kraft mehr hatte. Aber nur fast hätte ich den
Mut verloren, ich habe ihn wieder. Aber nun
schreibe ich Ihnen solche dummen Sachen, daß [sic] wollte
ich gar nicht. Ganz andere Dinge hatte ich vor
zu schreiben, weil sie dieses Jahr so stark
waren, aber ich spürte plötzlich, daß es künstlich
oder übersteigert geworden wäre, und Unechtheit
hasse ich. Ich wollte, ich wäre noch selbstkritischer
ich lese Dostojewski „der Jüngling“, da werde ich es
vielleicht noch. Ich würde mich sehr freuen, wenn
ich wieder etwas von Ihnen höre.

Herzlichst
Ihre Palucca

Anmerkungen

  1. Grohmann, Will (4.12.1887, Bautzen – 6.5.1968, Berlin), Kunsthistoriker und Kunstkritiker, unterstützte und förderte junge Kunstströmungen und Künstler.

    http://d-nb.info/gnd/118698028
  2. Bienert, Friedrich (21.11.1891, Plauen – 15.2.1969, West-Berlin), Industrieller, Kunstsammler und Mäzen. Von 1924 – 1931 mit Gret Palucca verheiratet. Er besaß zeitlebens einen großen Freundeskreis von Künstlern und Intellektuellen, zu dem auch Will Grohmann gehörte.

    http://d-nb.info/gnd/142745189
  3. Werk Georg Kolbes, Porträt Gret Palucca, 1926