Transkription

1. I. 29

Liebe Julia, obige Zahl
schreibe ich hiermit das erste
Mal. Es war so lieb, dass Sie
mich anriefen – ich hörte Ihre
Stimme ganz deutlich – hätte
sie erkannt, auch ohne jede
Vorbereitung.

Ich bin erleichtert, dass diese
dunklen schweren Festtage
vorbei sind – Wenn sie doch nie

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wiederkehren wollten –

Ich kann Ihnen nicht sagen,
wie tieftraurig das am Friedhof
war. Viele, viele flackernde
Kerzen auf den Ruhestätten.
So viele Menschen im gleichen
Gedenken und jeder allein –

grenzenlos allein. Und das
sorgenlose, sieghafte Gebahren
der Anderen draussen, auf
den Strassen! Und doch mit

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II

ihren winzigen Kümmernissen.

Ich war so müde und un-
tröstlich die letzten Wochen –
Monate – Nun geht mein
ganzes Verlangen zu meiner
Einsiedler-Klause. Schön
wird sie – bin täglich dort. Und
streng will ich meinen letzten
Lebensabschnitt dort führen.

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Dem Werk soll das gut be-
kommen!

Sentimentale Gedanken, pathe-
tische Worte? Nein, so werden
Sie das nicht auffassen.
Julia ist ein kluger Geselle und
hat so viel Herz – deshalb darf
ich auch so sprechen – Ja?

Schreiben Sie mir, wann Sie wieder
anrufen werden und wie es Ihnen
und den Ihren geht.

Herzlichst

Ihr
Georg Kolbe