Transkription

Leipzig am 21./ XII 1903

Lieber Freund, Du mußt mir schon erlauben,
daß ich Dich tadle, wenn Du allzubescheiden
bist, wie Du über Deine Arbeit sprichst.

Wahrhaftig, ich fühle dann eine Scham Dir
gegenüber. Daß Du als erstes Mal glänzend
schreibst, das ist doch ganz wunderbar; und
was willst Du sonst noch mehr? Frage Dich
doch und beantworte diese Frage auch; wer
könnte meine Arbeiten besser besprechen
als Du? Glaube mir, ich bin glücklich, daß ich Dich
habe; aber nicht etwa, weil Du über meine
Sachen schreiben kannst, sondern weil Du mich
kennst und weißt, warum ich arbeite.
Du weißt, was ich erstrebe und teilst mit mir
die Hoffnung auf ein anständiges Ziel.
Begreifst Du nicht, daß mir das sehr wohlthuend
ist?

Die Besprechung finde ich sehr klar und sachlich,
und ich habe alle Achtung vor solch einer
Leistung, da ich wohl weiß, wie schwer es ist,
sich auszudrücken.

Seite 2

Glaube, daß Deine Besprechung meiner
Arbeit sehr vorteilhaft sein wird. Was Du
sagst, ist ernst und einfach und weicht
sehr ab von den übrigen kritischen
Artikeln. Betrachten wir die Veröffentlichung
meiner Arbeiten als etwas Wichtiges, Ernstes,
dann ist es wohl zweifellos, daß ein
Gleichgesinnter die Bilder erläutern muß,
andernfalls, wenn die Sache so gleichgültig
und von vornherein journalistisch ange-
sehen wird, so brauchten wir kein
Wort darüber verlieren.

Und wenn kein Mensch auf unsere
Veröffentlichung achtet und sie auch für
verfehlt ansehen sollte, so werde ich mich
doch mein ganzes Leben darüber freuen,
daß Du d mir Dein Wort geliehen hast.

Nimm von ganzem Herzen Dank, lieber
Freund. Möchten unsere Geschicke nie aus-
einander einander führen.

Seite 3

Welche Sätze Du Dir als Einleitung
gedacht hattest, ist mir sehr sympathisch.
Solche Vorrede ist aber wohl mehr für ein
selbständiges Buch geeignet; leider läuft
die Sache ja nur auf einen Zeitschrift-artikel
hinaus. Es ist aber auch gut so; d denn
es steht so besser im Verhältnis mit meinen
Leistungen.

Wenn ich lese, was Du schreibst, wird mir
so recht klar, was ich noch alles schuldig bin
zu erreichen; wie wenig jetzt an mir ist.
Mein ganzes Leben, meine ganze Kraft
stellte ich bisher in den Dienst der Arbeit.
Die Wünsche stehen klar vor mir; der Wille
wird unbeugsam bleiben; aber wie schwer
ist der Kampf um jeden Schritt vorwärts. –
Doch – handeln wir weiter!

Nun möchte ich Deiner Frau und Dir
noch unsere herzlichsten Weihnachtsgrüße sagen.
Ich fürchte zwar, das Du mir mißtraust,

Seite 4

wenn ich von dem Fest spreche; doch
hoffe ich unbestimmt, dass Du mich dennoch
innerlich nicht falsch beurteilst.

Wie Ihr mich auch gesel gesellschaftlich vielleicht
für ein Monstrum anschaut, obwohl
ich unter gewissen Bedingungen recht
gut gesellig sein kann.

Unsere Wurzeln stecken in etwas
verschiedenem Boden und das Wachstum
erfordert demnach verschiedene M Nahrung,
aber der Wuchs vereint uns, nicht
unnütze Pflanzen werden zu wollen. –

Durch Tuch(1) hörte ich von Euch, wenn auch
nicht viel, man muß aus dem immer
heraus ziehen, so {sonst} hat man wenig.

Von uns hört Ihr aber durch Deinen Bruder,
und so habe ich nichts Sonderliches mehr
zu sagen. Wegen der Druckerei etc.
wirst Du schon weiter hören, natürlich bekommst
Du die Correkturbogen zugesandt.

Nochmals meine Hand zum Dank.

Herzlichsten Gruß von uns an Deine Frau

Immer Dein Georg Kolbe.

Anmerkungen

  1. Tuch, Kurt (27.5.1877, Leipzig – 23.11.1963, Muri, Kanton Aargau, Schweiz),  deutscher Maler und Graphiker

    http://d-nb.info/gnd/11743339X