Transkription

Berlin W. Regentenstr. 20
16. Dez. 06

Lieber Freund,

hier Rolle und Brief. Was
soll ich Dir aber sagen? Die
Zeichnerei siehst Du mit eigenen
Augen und wirst erkennen,
was ich gewollt und nicht gekonnt
habe. Eine ausgeführte Zeichnung
wird natürlich jedem Laien
vollkommener sein, und
ich versuchte auch, eine solche
herzustellen; sie wurde aber tot
und spießig. Eine lebendige
kräftige Skizze ziehe ich schon vor.
Über die Technik einer Reproduktion
will ich nicht sprechen, sonst

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könnte es mir wieder so gehen
wie kürzlich mit Lingner(1), dem
ich Photos vom Napoleon(2) sandte
und vorschlug, das[s] diese Büste
besser für Bronze als Marmor
passe, worauf er zunächst
erwiderte, dass ihm die Auffassung
der ganzen Persönlichkeit nicht
angenehm sei.

Also, äussere Dich zunächst über
meine Zeichnung und benimm
Dich so frei wie möglich.

Deine Schwester aus Schlabendorf
war hier, traf aber nur meine
Frau und bat, dass die Zeichnung
direkt von hier nach Schlabend.
geschickt werde. Aber dennoch

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sende ich sie Dir, weil ich es
Dir eher versprach und Du ja
nun doch einmal der
Kunstrichter in der Familie
bist.

Noch erwähnen muss ich, dass
es mir absolut nicht gelingen
konnte, eine anständige Schrift
in die Zeichnung zu bringen – das
liesse sich aber du durch Aufkleben
von Papier und einer Druckschrift
darauf ersetzen. –

Denkwürdige Ereignisse sind von
hier nicht zu melden. Das Publikum
geht an meine Arbeiten nicht ran,
obwohl es oft nicht an Anerkennung
fehlt, die mir doch aber die hohen
Unterhaltungskosten nicht ersetzen

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kann. Im Atelier geht es langsam –
besonders der kurzen Tage wegen.
Für das Frühjahr erhoffe ich aber doch
eine fortgeschrittene Arbeit fertig-
stellen zu können. Wir gehen
etwas mehr unter Gesellschaft,
was ziemliche Leere in meinem
Kopfe zur Folge hat. Auf die Dauer
würde mir das sehr schaden, und
als Beispiel dienen mir so und
soviele intelligente Leichen unter
unseren Bekannten. –

Ist Deine Erkältung wieder vorbei?
Wir sind gesund. Sei mit Deiner
Frau und dem Kind aufs Beste von
{uns} gegrüsst

in Freundschaft
Dein Kolbe

Anmerkungen

  1. Lingner, Karl August (21.12.1861, Magdeburg – 5.6.1916, Berlin), Verleger, Mäzen, Unternehmer, Begründer der Marke Odol

    http://d-nb.info/gnd/119469111
  2. Werk Georg Kolbes, Porträt Buonaparte, 1903/04, verschollen