Transkription

z. Zeit Waldheim Sachsen

24./ VII 06

Lieber Freund,

seit 14. Juli sind wir hier zum
Besuch meiner Eltern, nächsten Freitag
wollen wir wieder nach Berlin zurück,
oder vielmehr müssen, denn die
Arbeit wartet. Die Büsten für Lingner(1)
sind zugehauen und ich will sie
fertigstellen, um Geld zu erlangen. Mit
der Skizze zum Beethoven(2) war er ganz
annehmbar einverstanden, und
ich glaube sicher, wenn ich ihm denn
Marmor vorzeige, dass er sich das Ding
nicht anders wünscht. Brieflich kam
ich bisher vorzüglich mit ihm aus, und
ein gutes Geschick mag das weiter so
leiten.

Ausser diesen beiden Büsten (den Bach(3)
habe ich auch neu modelliert und hoffent-
lich verbessert) konnte ich über freie Versuche

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nicht hinauskommen, besonders da
ich {hier} neue Wege zu gehen versuche.
Ein provisorisches, von der Wohnung sehr
entferntes und sehr ungenügendes
Atelier erschwerten mir auch die Arbeit,
aber dem Winter sehe ich doch mit Ver-
gnügen entgegen, weil ich sehr hoffe, mich
endlich zu einer reifen Arbeit sammeln
zu können.

Unsere Wohnung ist sehr teue,r und
ich muss auch an Verdienst nun
noch mehr denken.

Aber die Wohnung ist wirklich ein Ver-
gnügen für uns, und ich denke, dass
sie Dir auch wohl gefallen würde.

Ich freue mich schon auf den Tag, wenn
Ihr wieder einmal kommen werdet;
obwohl sehr wenig Aussicht zu sein
scheint, so muss es doch früher oder
später werden. Als wir weg waren,
bist Du böser Mensch natürlich
mit Deiner Frau in Berlin gewesen.

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Was wird mit Weimar werden?

Es sieht nun aus, als ob das schwer ginge –
zunächst dachte ich überhaupt nur
an uns beide, da ich mit Frau und
Kind unmöglich kommen kann, das
heisst, es würde mässig nett und viel
zu teuer. Besonders auch weil ich
durch einen Bekannten bei der Marine
noch für den Herbst zu einem Besuch
von Kiel und Besichtigung von Kriegs-
schiffen veranlaßt wurde, wobei mög-
licherweise auch meine Frau sein
wird – Aber weisst Du, nach Weimar
komme ich jederzeit, wenn ich Dich
dort treffen kann, das bedenke.

Die Ausstellung scheint nicht viel Wert
zu haben.

Geht Ihr nun noch nach Italien?
Und wohin dann? Hettner(4)s schreiben
uns nicht mehr, trotz eines sehr
freundlichen Briefes vor zwei Monaten.
Ich freue mich sehr wenig über solche Sachen.

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Euch und dem Kinde geht es gut? Wir müssen
uns wirklich bald wiedersehen; es ist fast
ein Jahr vergangen.

Nora(5) wächst vorzüglich und ist sehr
redseelig und vielleicht noch lebendiger
geworden; wir haben enorme Freude
an dem Kinde; ihre sehr regelmässige
Gesundheit trägt viel dazu bei.

Und die Eltern von Nora sind noch immer
dieselben, moralische Depressionen
sind bei mir arg häufig und ver-
schönen das Dasein nicht. Trotzdem
fühle ich mich sicherer und deshalb auch
viel ruhiger.

Die Jahrhundertausstellung hat mich
enttäuscht, das heisst, im Erdgeschoss gab
es viele schöne Sachen, aber die älteren
Maler, da hatte man wohl allzuviel Überblick
genommen.

Hirschfeld(6) ist in Berlin und öfter mit mir
zusammen, er ist doch auch älter geworden.
Nun viele herzliche Grüsse von uns an Deine
Frau und den Jungen

und sei Du besonders gegrüsst von
Deinem treuen Kolbe.

Anmerkungen

  1. Lingner, Karl August (21.12.1861, Magdeburg – 5.6.1916, Berlin), Verleger, Mäzen, Unternehmer, Begründer der Marke Odol

    http://d-nb.info/gnd/119469111
  2. Werk Georg Kolbes, Porträtbüste Ludwig van Beethoven, 1906, Marmor

  3. Werk Georg Kolbes, Porträt Johann Sebastian Bach, 1903

  4. Hettner, (Hermann) Otto (27.1.1875, Dresden – 19.4.1931, ebd.), Maler und Bildhauer

    http://d-nb.info/gnd/116779276
  5. Leonore, Tochter Georg Kolbes (19.11.1902, Leipzig – 28.06.1981, Berlin)

  6. Hirschfeld, Werner (28.2.1882, Königsberg – 1914, gefallen), Dr. phil., Kunsthistoriker, aus dem Freundeskreis Georg Kolbes

     http://d-nb.info/gnd/116914343