Transkription

(Grand Hotel, Coq-sur-mer, Téléphone 229)

Coq s/ mer (190)8
7. Aug. 08

Lieber Freund!

Obwohl Ihr nur noch 6 Wochen in
Rochlitz bleibt, hoffen wir doch sehr, noch
einmal einen Nachmittag bei Euch zu er-
scheinen. Im Umzug werden wir Euch dadurch
wohl nicht stören. Etwa 25 Aug. werden wir
nach Berlin zurückkehren und hatten dann
die Absicht, Mitte September einige Tage
nach Waldheim zu gehen; hoffentlich halten
mich Geschäfte nicht ab, dass wir Euch noch
antreffen; denn nach Pirna zu kommen,
ist für uns viel schwieriger, würde vor allem
dieses Jahr nicht mehr werden. –

Wie traurig, dass Du so hin u. her hergeschickt
wirst! Und wie gut wäre es gewesen, wenn
Ihr im Winter in Berlin sein könntet!

Aber ausserdem zeigst Du mir unsere
Athen-Fahrt in so trüber Beleuchtung?
Ist das wirklich Dein Ernst mit dem Verzicht?
So viel kostet das doch nicht? –

Du hast Recht, wir hätten zusammen
in London sein sollen. Es hat ist mir eine
längst gehegte Neugier befriedigt worden
mit dieser Reise. Im ganzen bin ich
sehr angenehm überrascht von meinen
Eindrücken, wenn auch die Jahreszeit

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nicht die günstigste war, denn die Luft
ist durch ganz hervorragende Unsauberkeit
in allen Strassen unerträglich gewesen.
Freilich sind wir in Berlin verwöhnt, aber es
ist Thatsache, dass man in der Englisch-
französischen Ausstellung, welche etwas
ausserhalb liegt, vermeintlich frische
Luft schnappen ging, so viel schlechter
war sie in London. Der Eisenbahnbetrieb
in der Stadt war ist auch zu umfangreich.
Aber wunderbar praktisch. –
Was in Sammlungen ist, wird Dir bekannt
sein. Leider sind all die herrlichen Bilder
und Skulpturen (letztere überhaupt nur
Antiken) eben nicht auf englischem
Boden gewachsen, und trotz grosser Eindrücke
im Anfang drängt sich einem recht bald
auf, wie sehr nichtkünstlerisch dieses Volk
ist. Einigermaßen Constable(1) – aber Turner(2)
und Consorten sagen mir wirklich bitter wenig.
Watts(3), Bourne Jones(4), Rossetti(5) missfallen
mir direkt. Doch im Briefe kann ich mich
nicht aussprechen – mündlich wird das besser
gehen. Bei Carlyle(6) fühlte ich mich sehr wohl.
Ausser London habe ich nur noch [Isle of] Wight
besucht, welches wirklich schön ist und viel
an den Süden erinnert. – Hier in Coq ist
es recht gut zu sein, ein prächtiger Strand –
noch eine Woche, dann gehen wir nach Brüssel,
wo ich gern weile. Also bitte rechnet mit
einem Besuch und seid vielmals herzlichst
gegrüsst von uns drei

Stets dein getreuer Georg Kolbe